Chimamanda Ngozi Adichie. Americanah. Roman einer Bloggerin

americanahSeit einigen Tagen gehe ich mit einem anderem Blick durch die Stadt. Das hat Adichie mit mir gemacht. Mit ihren Augen schaue ich nach Cornrows und Braids. Ich bewundere  einen krausen Afro und stelle mir vor, welche Schmerzen der hübschen schwarzen Frau neben mir die strenge Glättung ihres Haars wohl bereitet haben.

Solche Fragen stellt sich auch Ifemelu, zentrale Figur in Adichies neuem Roman. Soll man krauses Haar überhaupt bändigen? Und wie sieht eigentlich das echte Haar von Beyoncé und Michelle Obama aus? Wäre Barack Obama auch Präsident geworden, wenn seine Frau einen riesigen Afro getragen hätte? All diese und andere Dinge bewegen Ifemelu wahnsinnig und weil sie sich gern alles von der Seele redet, wird sie eines Tages von einer Freundin gefragt, warum sie nicht einfach einen Blog gründet?! Ifemelu registriert sich bei WordPress und bloggt über Probleme „nichtamerikanischer Schwarzer“. Schnell findet sie riesigen Anklang. Mit ihren Themen ist sie top aktuell, sie schreibt zynisch und provozierend. 

Genau wie die Autorin, ist auch Ifemelu in Nigeria geboren und lebte für einige Jahre in den USA. Sie lernt schnell, dass hier selbst eine hellhäutige Nigerianerin eine Schwarze ist. Eine blonde Russin ist immer eine Weiße. Zu Hause war Ifemelu sich niemals „scharz“ vorgekommen.

Und zu Hause lebt auch Obinze – ihre große Liebe. Die Geschichte zwischen beiden zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman, für den ich mir außergewöhnlich viel Zeit nehme (mit dem Wunsch, er möge nie enden) und ihn dennoch atemlos verschlinge. Eigentlich erzählt Adichie eine uralte Geschichte. Die Geschichte einer Liebe, deren Bedeutung erst in der Ferne ganz klar wird. Erst in der Fremde spürt man, was dem Herzen am wichtigsten ist.

Ob und wie es mit Obinze und Ifemelu weiter geht, erfahre ich erst nach mehr als 500 Seiten. Da bin ich fast am Romanende. Hunderte von Seiten, die mich glücklich machen. Die mich aber auch nachdenklich und manchmal sogar wütend stimmen. Ich durchlebe eine Achterbahnfahrt der Gefühle, bis Obinze endlich Ifemelus Version der Geschichte erfährt. Er wird ihr schweigend zuhören, um ihr dann mit seiner sanften melodischen Stimme zu antworten. Die Hoffnung auf ein happy-end steigt…..

Adichie ist mit Americanah ein wirklich realitätsnaher Roman gelungen. Alles wirkt absolut authentisch und ich möchte am liebsten sofort Ifemelus Blog folgen – doch dann fällt mir ein, er ist nur eine Fiktion. Ich denke über das Phänomen nach, warum mich Romane von Autoren, die zwischen den Kulturen und Religionen wandern,  so sehr begeistern. Warum greife ich fast süchtig nach ihren Büchern: Sasa Stanisic, Elif Shafak, Ilja Trojanow, Taiye Selasi, Abbas Khider, Rafik Schami, Ryad Assani-Razaki, Katja Petrowskaja und … eben auch Chimamanda Ngozi Adichie.

Sie alle haben unglaublich viel zu erzählen. Sie zeigen mir Welten, denen ich mich vielleicht nie nähern werde, in die ich aber dank ihrer großen Romane eintauchen kann. Ich kann auf meinem Sofa liegen und mich einfach ganz weit weg träumen.

Aufmerksam geworden auf Adichie bin ich bereits vor vielen Wochen bei literallywriting . Die Rezension zur amerikanischen Originalausgabe sowie das kleine Video haben mich total neugierig gemacht auf diese Autorin. Bereits darüber geschrieben hat auch die Klappentexterin – beide Texte möchte ich Euch ans Herz legen.

Chimamanda Ngozi Adichie. Americanah. Aus dem Englischen von Annette Grube. S. Fischer Verlage 2014. 608 Seiten. 24,99 €

16 Antworten zu “Chimamanda Ngozi Adichie. Americanah. Roman einer Bloggerin

  1. literallywriting

    Was für eine tolle Besprechung! Jetzt habe ich fast Lust, das Buch sofort noch einmal zu lesen… Danke auch für den Link!

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    • Gerne! Du hast mich schließlich aufmerksam gemacht auf diese wundervolle Autorin. Der Roman gehört auch bei mir ganz klar zu denen, die ich irgendwann ein zweites Mal lesen werde, um dabei noch so manches zu entdecken, was beim ersten Lesen entgangen ist.

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  2. Liebe masuko,
    das war schön! Noch einmal mit deinen Eindrücken in den wunderbaren Roman zu tauchen, alles vor mir zu sehen und zu spüren. Vielen Dank – auch dafür, dass du meine Besprechung mit zu dir mitgenommen hast.

    Herzlichst,
    Klappentexterin

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  3. Pingback: (Rezension) Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie | Bücherphilosophin

  4. Liebe masuko,
    ich melde mich heute zum ersten Mal auf Deinem Blog, verfolge ihn aber schon sehr lange. Deine Buchbesprechungen sind sehr ansprechend und toll geschrieben. Ich habe jetzt schon einige Bücher aufgrund Deiner Empfehlungen gelesen und bin nicht enttäuscht worden. Auch dieses Buch habe ich schon gelesen (allerdings vor Deiner Besprechung) und war total begeistert. Ich freue mich schon auf weitere Buchvorstellungen auf Deinem Blog und werde ihn weiterhin begeistert verfolgen, auch wenn ich mich nicht regelmäßig melde. Mach bitte weiter so!
    LG
    lesesilly

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    • Hej, liebe leselilly,
      es ist so schön, zu wissen, dass ich außerhalb meines Zimmers andere für die von mir gelesenen Romane begeistern kann. So, wie auch dich! 1000 Dank für deine Worte. Und ich schreibe weiter, versprochen! Der nächste gelesene Roman wartet bereits in meinem Kopf. Ich muss nur noch die richtigen Worte finden….
      Schöne Grüße, masuko

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  5. Pingback: (Die Sonntagsleserin) KW #22 – Mai/Juni 2014 | Bücherphilosophin

  6. Liebe masuka, seit ich die Besprechung bei der Klappentexterin gelesen habe, schwirrt dieses Buch in meinem Kopf herum – und auch deine Begeisterung ist wirklich ansteckend. Es nützt alles nichts, ich fürchte, ich muss dieses Buch sehr bald in die Hände bekommen 🙂
    Vielen Dank für deine wunderbaren Worte!

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    • Liebe hutmacherin,

      man kommt an der „Americanah“ eigentlich nicht vorbei. Ich bemerke auch an mir, wie ich neuerdings jedes Buch, das ich lese, mit dem Roman vergleiche.
      Es ist schwer, etwas ähnlich Gutes zu finden.
      Schön, dass ich dich dafür begeistern konnte.
      Schöne Grüße, masuko

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  7. Ich bin gespannt. Werde es auch demnächst lesen. Momentan bin ich aber noch mit „West with the night“ von Beryl Markham beschäftigt…

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  8. Hach, Masuko, diese Rezension habe ich mir aufgespart wie einen leckeren Nachtisch – denn als du deinen Text gepostet hast, war ich selbst noch in der Lektüre von „Americanah“ gefangen. Ja, genau das ist es, was dieses Buch mit einem macht: Es verändert den Blick, wie du schreibst. Es war auch sicher nicht mein letzter Roman von der klugen Chimamande Adichie. Lg, Karo

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    • Dann darf ich mich jetzt sicher auf deine Rezension freuen. Ich brauchte ja erstmal ein paar Tage, ehe ich das Gelesene in Worte fassen konnte. Ein ganz besonderer Roman eben. Freut mich wirklich sehr, dass es dir genauso ging mit Ifemelu und Obinze.
      Schöne Grüße, masuko

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