Ein Marathonläufer bewegt sich ausdauernd, gleichmäßig und diszipliniert. Um seine Kraft nicht zu verlieren, läuft er nie zu schnell – ohne dabei jedoch auffallend langsamer zu werden. Gleiches kann man von einem guten Schriftsteller sagen. Wie sonst kann einer mehr als 30 Jahre lang immer wieder neue Ideen für die verrücktesten Geschichten finden und Millionen Leser weltweit so konstant begeistern?! Dazu gehört doch ein extrem hohes Durchhaltevermögen. Es gehört Ausdauer dazu und Disziplin. Ein langer Atem außerdem und der Glaube an sich selbst und an sein Schreiben. So muss es wohl sein, denn so liest man es in den autobiographischen Büchern Haruki Murakamis. Doch wie kam einer wie er zum Schreiben? Wie fing das an?
An einem sonnigen April im Jahre 1978 geht Haruki Murakami ins Tokioter Jingu-Stadion, um sich das Eröffnungsspiel der Central League anzuschauen. Und dort, bei einem satten Two-Base-Hit, kommt er auf die Idee, einen Roman zu schreiben. Er spricht darüber in „Von Beruf Schrifststeller“ (Seite 32/33):
Ich erinnere mich noch genau an diesen Augenblick. Ich hatte das Gefühl, etwas wäre langsam vom Himmel gesegelt und ich hätte es mit den Händen aufgefangen. Warum es zufällig in meinen Händen landete, weiß ich nicht. Ich weiß es bis heute nicht. Doch was auch immer der Grund sein mag, es ist geschehen. Es war – wie soll ich sagen wie eine Offenbarung.
Der Literaturbetrieb ist ihm zu diesem Zeitpunkt völlig fremd. Er hatte ja nicht geplant Schriftsteller zu werden. Ich war ein ganz normaler Mensch, der ein ganz normales Leben führte, bis ich eines Tages urplötzlich auf die Idee kam, einen Roman zu schreiben … (Seite 44/45). Und seitdem schreibt er.
Viele seine Bücher habe ich bereits mehrmals gelesen, weil ich es bis zum nächsten neuen Roman nie aushalte. Bis endlich der DuMont Buchverlag seine ersten Signale ins Universum sendet: Ein neuer Roman von Mister Murakami ist da! Ursula Gräfe sitzt jetzt an der Übersetzung! Ich stelle mir vor, wie sie – einer Autorin ganz ähnlich – dann Tag für Tag am Schreibtisch sitzt. Ständig im Kopf von Murakami! Ohne sie wäre dieser Kosmos für uns deutsche Leser unerreichbar. Und einer „Marathon“-Leserin wie mir würde ein riesiges Stück Glück fehlen. Wenn ich eine Möwe am Meer sehe, denke ich automatisch an diesen einen Satz aus „1Q84“: Eine Möwe segelte mit elegant eingeklappten Beinen auf dem Wind über dem Wäldchen. Ich glaube an geheimnisvolle Brunnen durch deren Wände man gehen kann, an Schafsmänner, die plötzlich auf einer Schreibmaschine sitzen. Ich habe Lust, wieder einen Plattenspieler zu besitzen und alte Jazzplatten zu hören. Irgendwie ist er immer präsent in meinen Gedanken – geheimnisvoll doch eigentlich ganz normal.

Chalkidiki (Griechenland) im Oktober 2017
So kamen mir auf der Insel Chalkidiki, wenn ich die steilen Berge zum Meer hinunter und abends bei schönstem silberhellem Mondschein wieder hinauf gegangen bin, manchmal Szenen aus Murakamis Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede in den Sinn. Das Salz auf seiner Haut. Die glühende Sonne Griechenlands. Der Staub der Strasse. Eindrucksvoll beschreibt er in diesem Buch ein sehr intensives Erlebnis. Er ist im Jahre 1983 den Ur-Marathon von 42,159 Kilometern zwischen Marathon und Athen gelaufen. Eine beeindruckende Leistung!
Ich habe die kleinen Steigungen als angenehme tägliche Herausforderung empfunden. Doch ich bin lediglich gegangen, nicht gelaufen! Schließlich bin ich kein Marathonläufer. Doch ich bin mit Sicherheit einer der größten Fans und eine leidenschaftliche Leserin aller seiner Bücher. Und manchmal habe ich nachts dort auf der Insel geprüft, ob nicht doch zwei Monde am schwarzen Himmel stehen, so wie Murakami es eindrucksvoll in seinem Roman „1Q84“ beschreibt.
Ich hätte ihm den Literaturnobelpreis 2017 so sehr gewünscht. Alle redeten davon und ich war doch wieder extrem aufgeregt. Doch sind ihm Preise überhaupt wichtig? In „Von Beruf Schriftsteller“ schreibt er in Kapitel 3 darüber, und nimmt als konkretes Beispiel den Akutagawa-Preis (wichtigste literarische Auszeichnung Japans), für den er zweimal nominiert war, den er aber nie bekommen hat. In seiner ganz typischen Art über Dinge nachzudenken sagt er:
Hat es mir geschadet, den Akutagawa-Preis nicht zu bekommen? Ich habe ein wenig über diese Frage nachgedacht, aber mir ist nichts dazu eingefallen. Hatte es einen Nutzen? Nein, einen besonderen Nutzen hatte es wohl auch nicht, den Akutagawa-Preis nicht bekommen zu haben. Höchstens, dass man sich vielleicht ein bisschen freut … (Seite 53)
Für mich ändert das auch gar nichts, ob er den Preis hat oder nicht. Für mich ist wichtig, dass er schreibt, immer weiter schreibt. Weshalb ich mich wahnsinnig freue, dass im Januar und April 2017 im DuMont Buchverlag „Die Ermordung des Commendatore“ Band 1 und Band 2 erscheinen. In der Vorschau des Verlages heißt es, dass der Ich-Erzähler der Geschichte den Auftrag bekommt, einen sehr reichen Mann zu porträtieren, Herrn Menshiki. Doch es fällt ihm unendlich schwer, das Wesen von Herrn Menshiki zu erfassen. Dann geschehen merkwürdige Dinge. Weiter heißt es: Wie kein anderer versteht es Haruki Murakami, Parallelwelten zu erschaffen und die Grenzen zwischen ihnen und der uns bekannten Realität zu verwischen. Dieser Satz allein genügt mir, dass ich jetzt schon weiß, auf uns Fans wartet ein ganz großes Buch. Noch ist Ursula Gräfe dabei, die japanischen Worte von Mister Murakami ins Deutsche zu übersetzen. Ich wäre jetzt gern in ihrem Kopf.
Haruki Murakami. Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Buchverlag. Köln 2008. 165 Seiten. 16,90 € / auch als Taschenbuch bei btb. 2010 / 164 Seiten. 8,99 €
Haruki Murakami. Von Beruf Schriftsteller. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Buchverlag. Köln 2016. 240 Seiten. 23,- €
So ein schöner Artikel, der mir ganz aus dem Herzen spricht und der gerade fast so schön ist, wie ein neuer neuer Murakami 😉
Kann es auch gar nicht erwarten. Habe noch einen einzigen Murakami hier stehen, den ich noch nicht gelesen habe, weil ich irrsinnigerweise glaube, ich muss immer noch einen aufheben, damit er ganz sicher ein weiteres Buch schreibt.
Ich werde wohl „Kafka am Strand“ nochmal lesen, bevor das neue Buch da ist – hatte ich schon lange nicht mehr.
Schicke Dir liebe Murakami-Fangirl-Grüße aus München und freue mich auf Deine Rezension des neuen Buches….
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Der Text der Verlagsvorschau verspricht einen „klassisch guten“ Murakami. Und das Cover ist einfach wahnsinnig schön!
Du machst mich jetzt aber extrem neugierig! Welches Buch hast du noch nicht gelesen von ihm? Bei mir ist das „Hard Boiled Wonderland“. Ich werde bis zum 22. Januar wohl auch nochmal in meinem Regal stöbern. „Kafka am Strand“ wäre meine erste Wahl. Ich hatte allerdings bisher auch noch nicht den Mut, die neue Übersetzung von „Gefährliche Geliebte“ zu lesen …
Aus dem verregneten Berlin schicke auch ich dir fröhliche Grüße von einem 100%igen Murakami-Fangirl 👩🏻💻☔️
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OK ich verrate es 😉 After the Quake steht hier noch ungelesen und ich habe mich übrigens auch noch nicht an die neue Übersetzung von „Gefährliche Geliebte“ gewagt.
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Wie ich nun von lesesilly weiß, ist auch „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ großartig. Also habe ich nun Mut gefunden, es zeitnah zu probieren. Und eigentlich kann man bei einer Übersetzung von Ursula Gräfe nix falsch machen. „Afterdark“ ist ein wenig kühl erzählt und eigentlich viel zu kurz für ein echtes Murakami-Fangirl. Bin gespannt, wie es dir dann damit geht. Schöne Grüße!
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literaturnobelpreis 2017
die deutschen verlierer: http://wp.me/p3gzPd-4lG
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Ich habe sträflicherweise immer noch 1Q84 vor mir, ich hoffe, ich schaffe das endlich, endlich in den nächsten Monaten. Wiederlesen würde ich wohl Mr. Aufziehvogel, wobei ich die einzige Szene, an die ich mich (mit Grauen…) erinnere, beim zweiten Mal wohl überblättern würde…
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Aber das ist ja der Vorteil, wenn man die Geschichte schon kennt! Wie man sich als Kind beim Film die Augen zugehalten hat, wenn es zu gruselig wurde … Welche Szene war das denn?
„1Q84“ ist mit Sicherheit einer der ganz großen Murakami-Romane 🙂
Beste Grüße!
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Eine Folterszene… hab es sehr schlimm in Erinnerung.
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Oh, die muss ich wohl komplett aus meinem Bewusstsein verdrängt haben.
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Liebe Masuko,
welch schöner Bericht einer wahren Murakami-Anhängerin. Ich mag ihn ja auch sehr gerne, wobei ich gestehen muss, dass ich „Kafka am Strand“ und „1Q84“ noch ungelesen hier stehen habe. Das wird sich jetzt aber sicher bald ändern, nachdem Du mich jetzt so neugierig gemacht hast. Welches soll ich denn zuerst lesen?
„Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ habe ich übrigens gelesen und fand es ganz wunderbar. Allerdings kenne ich die erste Übersetzung nichtl
Liebe Grüße und ein erholsames Wochenende
lesesilly
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Liebe lesesilly,
wenn du sagst, dass du es ganz wunderbar fandest, dann rückt „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ nun etwas mehr nach vorn.
Ich würde aber auch so gern wieder „1Q84“ wieder lesen. ich lege es dir sehr ans Herz. Ich habe es erst einmal gelesen und doch sind mir Aomame und Tengo noch immer so präsent, als wären es Freunde und ich würde sie kennen! Ich würde ihnen beim zweiten Lesen neu begegnen und doch wären sie mir bereits vertraut –
Einen wunderschönen Lesesonntag wünscht dir masuko
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Schön zu lesen, wie sehr du dich auf den neuen Roman freust und dich für diesen Autor begeisterst. 🙂 Ich muss gestehen, dass ich von ihm noch nichts gelesen habe. Von „1Q84“ hatte ich eine Leseprobe, habe mir dann aber aus irgendeinem Grund nie den ganzen Roman vorgenommen. Welchen Roman von Murakami würdest du mir denn als Einstieg empfehlen?
Liebe Grüße!
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Hey, freut mich sehr, dass ich dich neugierig gemacht habe. Ich hatte damals mit „Mister Aufziehvogel“ angefangen, erinnere mich aber, dass mir die Geschichte zu komplex war und ich mit den Parallelwelten Murakamis wenig anfangen konnte. Ähnlich ist das bei „1Q84“ – warum ich beide als Einstieg nicht empfehlen würde. Beide Romane sind natürlich großartig.
Meine absoluten Lieblingsbücher sind „Naokos Lächeln“ und „Gefährliche Geliebte“ (in der Neuübersetzung „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“). Beide habe ich bereits mehrmals gelesen. Es ist wie mit guten Musikstücken. Wenn ich mich mal wieder sehr nach dem Sound seiner Sprache und der Melancholie in seinen Geschichten sehne, dann tauche in eines dieser beiden Bücher ein … Liebe Grüße.
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Danke, liebe Masuko, für die Antwort und die Einstiegstipps! Ich merke sie mir mal beide vor. Im Moment versuche ich ein bisschen mehr „outside the box“ zu lesen und auch mal Genres die Chance zu geben, die ich sonst eher meide (bei mir ist das z.B. Fantasy). Ich finde es spannend, meine Vorbehalte mal zu ignorieren und mich aus meiner Komfortzone herauszubewegen. Danach aber gerne Murakami. 🙂
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Ja, die Komfortzone zu verlassen, kann eine tolle Erfahrung sein! Müssen ja nicht gleich die 3 Bände „Herr der Ringe“ oder der gesamte „Harry Potter“ sein 😉
Aber mal ein Krimi oder ein bißchen SiFi oder Fantasy … warum nicht. Viel Spass dabei!
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Danke dir! Ich werde berichten, wie mein Weg auf den neuen Pfaden so verläuft. 🙂
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Auch ich kann bei Murakami viel Faszinierendes entdecken und lese auch die umfangreichen Werke in wenigen Tagen durch ohne mich einmal zu langweilen. Nach der Lektüre von „Von Beruf Schriftsteller“ bleibt allerdings ein schales Gefühl zurück. Das Bild, dass er dort von seinem Leben zeichnet erinnert in seiner Sterilität an einen hell ausgeleuchteten OP-Saal, eine Sterilität die ich manchmal auch in seinen Romanen finde. Richtig unangenehm wird es im Kapitel „Eine sehr persönliche Betätigung“ in dem er versucht seinen gleichförmigen Lebensrhythmus vor der Leserschaft und nach meinem Eindruck mehr noch vor sich selber zu rechtfertigen. Auf dem Höhepunkt der Rechtfertigungsarie zieht er Vergleiche zum geregelten Angestelltendasein Franz Kafkas in der Prager Versicherungsanstalt und entschuldigt sich sogar bei seinen Leser, dass er den Erwartungen an einen wilden Lebensstil nicht gerecht werden kann. Vielleicht liegt darin der Grund, warum Murakami die großen Preise noch nicht gewonnen hat. Vielleicht entstehen großartige Werke, die Kritiker wie Leser gleichermaßen begeistern leichter in einer Kombination von guten Romanen und interessanten Künstlerbiografien – Beispiele für diese Vermutung gibt es genug.
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Mir ging es mit „Von Beruf Schriftsteller“ ganz anders als dir. Ich habe gedacht, wie schlicht und streng so ein Autor doch lebt. Diszipliniert geradezu! Und dennoch gelingen ihm wiederholt wahre Meisterwerke. Preise scheinen ihm irgendwie auch völlig egal zu sein, sehr schön zu lesen in dem Kapitel darüber, dass er nie den begehrten Akutagawa-Preis erhalten hat. Einen Zusammenhang zwischen interessanter Künstlerbiografie und großem Werk kann ich generell auch nicht sehen. Das passt vielleicht auf Autoren wie Michel Houellebecq oder Thomas Melle.
Mich faszinieren Murakamis Bücher ja auch deshalb so sehr, weil sie so scheinbar unspektakulär daherkommen, weil dann aber in den Geschichten Traum und Wirklichkeit kaum spürbar ineinander überfließen. Solche Welten entstehen vielleicht am besten in der Stille oder eben beim Laufen ….
Wirst du denn sein neues Buch lesen?Schöne Grüße
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