Schlagwort-Archive: Haruki Murakami

Fragen zum neuen Roman von Murakami – Fragen zu Kishidanchō goroshi

murakami_commendatore_band1In wenigen Tagen erscheint der erste Band von Haruki Murakamis Die Ermordung des Commendatore (im japanischen Original: Kishidanchō goroshi). Meine Nerven liegen praktisch blank. Ich bin aufgeregt wie ein Kind vor Weihnachten. Gedanklich öffne ich seit Anfang Januar jeden Tag ein Türchen in meinem imaginären Adventskalender. Bis ich das Buch endlich in der Hand halten werde.

Oft habe ich mir in den letzten Wochen versucht vorzustellen, wie aufregend und hektisch es erst im DuMont Buchverlag sein muss! Vertrieb, Presseabteilung, Druckerei, Marketing … laufen nicht alle Abteilungen auf Hochtouren? Fragen türmten sich auf. Fragen außerdem zur Übersetzung und zum Inhalt des Buches. Ich habe diese Fragen dann an den Verlag geschickt. Die Antworten der Übersetzerin Ursula Gräfe (UG) und der Vertriebsleiterin Imke Schuster (IS) sind vor wenigen Tagen in meinem Mailordner gelandet.  Weiterlesen

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Ich laufe, um Leere zu erlangen. Haruki Murakami

murakami_wovon_ich_redeEin Marathonläufer bewegt sich ausdauernd, gleichmäßig  und diszipliniert. Um seine Kraft nicht zu verlieren, läuft er nie zu schnell – ohne dabei jedoch auffallend langsamer zu werden. Gleiches kann man von einem guten Schriftsteller sagen. Wie sonst kann einer mehr als 30 Jahre lang immer wieder neue Ideen für die verrücktesten Geschichten finden und Millionen Leser weltweit so konstant begeistern?! Dazu gehört doch ein extrem hohes Durchhaltevermögen. Es gehört Ausdauer dazu und Disziplin. Ein langer Atem außerdem und der Glaube an sich selbst und an sein Schreiben. So muss es wohl sein, denn so liest man es in den autobiographischen Büchern Haruki Murakamis. Doch wie kam einer wie er zum Schreiben? Wie fing das an? Weiterlesen

Haruki Murakami. Sputnik Sweetheart

murakami_sputnik_sweetheartSo schön es ist, in eine unbekannte Geschichte einzutauchen, so aufregend kann es sein, eine bereits gelesene erneut aufzuschlagen. Es ist ja auch eine Reise in das lesende Ich meiner Vergangenheit. Sputnik Sweetheart habe ich 2002 gelesen und es war einer meiner ersten Romane von Haruki Murakami. Ein Riesenrad spielte eine zentrale Rolle und eine Liebe zwischen zwei Frauen. Mehr als diese vagen Erinnerungen habe ich nicht, doch unvergessen ist das Glücksgefühl, das ich vor 15 Jahren schon verspürte. Und es stellt sich sofort wieder ein:

Sumire besaß so wenig Möbel, dass die Wohnung kalt und leblos aussah. An den Fenstern hingen keine Vorhänge, und auf dem Boden stapelten sich Bücher, die keinen Platz in den Regalen gefunden hatten, wie intellektuelle Flüchtlinge (S. 76/77).

Genau! Das war es! Diese kleine verrückte Sumire, die ich von Anfang an so mochte, ich schließe sie sofort erneut und noch ein bisschen  heftiger in mein Herz. Freue mich so sehr über dieses „Wiedersehen“.  Weiterlesen

Leben, lachen, lesen

So schöne neue Bücher und so spannende literarische Highlights in den vergangenen Wochen! Mein Kopf ist voller Gedanken. Warum erzähle ich dann nicht einfach davon? Warum ist es seit fast sechs Wochen hier so still …

Am 25. September bin ich ins Flugzeug nach Miami gestiegen und seitdem ist alles irgendwie anders. Die Prioritäten haben sich verschoben. War es die Sonne, das intensive Licht? Die Karibik? Ja, Florida ist voller Farben und intensiver Düfte. Das exotischste Essen meines Urlaubs war japanisches Sushi geschmückt mit den scharfen Gewürzen und knalligen Farben Perus. Das Lebensgefühl ist ein komplett anderes –

miami-fruhstuck-in-wynwoodJeder Tag beginnt mit einem starkem Kaffee und Frühstück im Garten bei fast 30 Grad. Immer an meiner Seite ist Stella, die Hündin unserer Vermieterin. Auch meinen eReader habe ich immer in der Nähe, obwohl ich ihn selten benutze. Ein bisschen Murakami. Ein bisschen Melle. Außerdem ein Jugendbuch von Julya Rabinowich aus dem Hanser Verlag. Dazwischen: ICH ist die Geschichte des Mädchens Madina, welches in Deutschland Asyl sucht. Die Story passt ganz gut, weil in Miami unglaublich viele Kubaner und Venezolaner im Exil leben. Es wird mehr Spanisch als Englisch gesprochen.

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Haruki Murakami. Wenn der Wind singt. Pinball 1973 – eine bekennende Harukinistin erzählt

murakami_wenn_der_wind_singtAm 15. Oktober 2010 bin ich Haruki Murakami begegnet. Es gab keine Garantie für sein Kommen. Es gab keine Garantie für sein Bleiben – nicht einmal, als er dann wirklich und real dort auf der Bühne im Admiralspalast saß. An einem schmalen Holztisch, mit Blick ins Publikum. Und jeder wusste, er würde wortlos die Bühne verlassen, sollte ein einziges Handy aufblitzen.  Bitte nicht fotografieren, mahnte ein Banner über der Bühne.

Vielleicht gerade deshalb ist dieses Ereignis in meinem Kopf minutiös aufgezeichnet. Ich musste mich nicht auf den Moment für das perfekte Foto konzentrieren. Ich war hochgradig und mit 100 % in der Gegenwart. Ganz besonders, als ich mich in die Schlange zum Signieren einreihte. Auch hier gab es Beschränkungen: keine Bierdeckel, keine Notizblöcke und auch keine Unterarme (!!) würde Murakami signieren, sondern nur ein einziges Buch: 1Q84!! Mit diesem Roman und der Taschenbuchausgabe von Wilde Schafsjagd unter dem Arm, rückte ich in der Schlange weiter vor. Stand dann vor ihm. Mutig, optimistisch und mit einem strahlenden Lächeln wedelte ich mit der Wilden Schafsjagd. Auf meine Frage „It’s possible, to take two?“, nickte Murakami großzügig. Signierte beide Bücher für mich. Dabei haben wir ein bißchen geplaudert.

Und jetzt sitze ich hier, habe diese Bilder im Kopf und lese seine beiden ersten Romane Wenn der Wind singt (1979) und Pinball 1973 (1980).
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Haruki Murakami. Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe (3)

Herr TazakiWas muss  das für ein großartiges Gefühl sein: In einem alten Holzhaus in Honolulu zu  sitzen (wo es, nach Murakamis eigenen Worten, wunderbar langweilig ist) und zu wissen, dass gerade unzählige Leser auf der anderen Seite des Kontinents ihre Zeit mit Tsukuru Tazaki verbringen. Meine Phantasie reicht dafür kaum aus. Aber verrückt und schön, dass muss es wohl sein, dieses Gefühl. Wenn Schreiben für ihn der Sinn des Lebens ist (gelesen im Interview in der Zeit vom 08.01.14), dann ist „Gelesen werden“ in diesen Sinn wohl inbegriffen. Dort in Honolulu genießt er Stille, Einsamkeit, aber auch Zeit für Schwimmen und Triathlon. Er ist den Honolulu-Marathon gelaufen! Faszinierend. Wo er doch heute seinen 65. Geburtstag feiert!

In seinem neuen Roman verbinden sich wieder Traumsequenzen mit realen Situationen. Murakami glaubt auch im wirklichen Leben, dass beide Welten – die wirkliche und eine andere irreale Welt – zugleich bestehen, sich vermischen. Im Zeit-Interview sagt er, er würde manchmal so eine Art Brise spüren. Erstmalig sei ihm das beim Schreiben von „Wilde Schafsjagd“ passiert. Da sei von der anderen Seite der Schafsmann aufgetaucht: „Also habe ich ihn beschrieben. Mehr musste ich nicht tun.“

Mit diesem Wissen ist es noch viel mehr Genuss, die Story zu lesen. Eigentlich kann ich mir einen Murakami-Roman ohne surreale Momente kaum vorstellen. Es gehört einfach dazu. Und so muss nun Tsukuru, um sich für eine neue Beziehung zu öffnen, in die Vergangenheit reisen. Eine seelische Verletzung vor 16 Jahren hatte sich tief in sein Herz gegraben. Wieder sind es ganz besonders die Mädchen, die als unvergessliche Figuren in Erinnerung bleiben.

So unvergessen wie Shimamoto San aus „Gefährliche Geliebte“ und Aomame aus „1Q84“. Nur heißen sie diesmal Kuro, Shiro und Sara. Es gibt eine Szene, die zu meinen Lieblingsszenen gehört. In wunderschönem Schwarz/Weiss-Kontrast beschrieben. Aus dem Blickwinkel von Tsukuru Tazaki schauen wir Shiro dabei zu, wie sie am Yamaha-Flügel sitzt und ihr Lieblingsstück „Le mal du pays“ aus den „Années de pèlerinage“ von Franz Liszt spielt. Die leicht geöffneten Lippen. Das schwarze Haar. Der weisse Schwanenhals. Haut wie Porzellan. Und wie ihre zarten weißen Finger über die schwarzen und weißen Tasten gleiten.

Diese melancholische Melodie zieht sich als roter Faden durch den gesamten Roman, verbindet Vergangenes mit Gegenwärtigem. Mal sind es knisternde Schallplatten, auf den Plattenteller gelegt, dann wieder CDs, in eine kleine Stereoanlage geschoben. Ein schlichtes Thema, immer unverändert schön. Doch jedesmal mit einem ganz eigenen Zauber. Und der entfaltet sich, so findet Tsukuru, ganz besonders am Seeufer in Finnland. Hier besucht er Kuro. Das zweite Mädchen aus der Fünfergruppe. Und hier in Finnland gibt es ein weiteres Bild, das ich einfach nicht vergessen kann. Weil es die Melancholie des Abschieds einfach, aber eindrucksvoll beschreibt (S. 282/283).

Tsukuru verlässt Kuro, die ihn noch vor den Losfahren vor den Kobolden warnt. Er winkt ihr aus dem Auto zu, gibt dann Gas, fährt los. Er weiss, er wird hier nie wieder herkommen. Auch wenn ihn das traurig stimmt, aber es gibt kein Zurück.

„Der Wind hatte aufgefrischt, und auf dem See bildeten sich hier und da kleine Schaumkronen. Ein großer junger Mann paddelte in einem Kajak langsam und lautlos wie ein großer Wasserkäfer vorbei.“

Tsukuru Tazaki wird mich noch viele Tage begleiten. Immer wieder nehme ich diesen außergewöhnlichen Roman in die Hände und wünsche,  dass es jedem so gehen mag: einfach glücklich zu sein, seine Geschichte gelesen zu haben.

Happy birthday, dear Mister Murakami!!

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Haruki Murakami. Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki. Dumont Verlag. 2014

Eine unerwartete Überraschung – Herr Tazakai (2)

Völlig unerwartet ist er schon heute in der Buchhandlung angekommen:

Haruki Murakami

Haruki Murakami

Haruki Murakamis neuer Roman über den farblosen Herrn Tazaki (wieder übersetzt von Ursula Gräfe). Ich liebe den Verlag Dumont für die schnelle Lieferung und natürlich für dieses wunderschöne Buch. Verzückt halte ich den Roman in den Händen, allein das Cover ist ein Kunstobjekt. Mit diesem durchsichtigen Schmetterling. Einzigartig schön.

Jetzt sitze ich hier zu Hause mit einem Glas Rotwein und den „Pilgerjahren“ von Franz Liszt als Musikhintergrund. Ich genieße den Moment und kann einfach noch nicht anfangen mit dem Roman. Schon zum fünften Mal lese ich wie eine Süchtige die ersten Sätze. Denn ich weiss, einmal umgeblättert auf Seite 8 und ich bin verloren…..

Herr TazakiDeshalb verabschiede ich mich für die nächsten Tage und begebe mich auf meine persönlichen Pilgerjahre mit Haruki Murakami. Nur, damit Ihr versteht, was ich meine, hier die ersten Sätze von DIE PILGERJAHRE DES FARBLOSEN HERRN TAZAKI:

„Vom Juli seines zweiten Jahres an der Universität bis zum Januar des folgenden Jahres dachte Tsukuru Tazaki an nichts anderes als den Tod. Er wurde in jenem Jahr zwanzig, was jedoch keinen nennenswerten Einschnitt für ihn bedeutete, denn zu der Zeit war ihm der Gedanke, sich das Leben zu nehmen, der nächste und natürlichste. Bis heute wusster er nicht, warum er den letzten Schritt nie vollzogen hatte. Denn die Schwelle vom Leben zum Tod zu überschreiten wäre damals so leicht für ihn gewesen, wie ein rohes Ei zu schlucken.“

Haruki Murakami. Die unheimliche Bibliothek. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe

Die unheimliche Bibliothek von Haruki MurakamiHerrTazaki 001Nur noch 30 endlose Tage, bis  Murakamis neuer Roman „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ erscheint!!!!!

Ich tröste mich (und vielleicht auch euch) mit seinen im Dumont Verlag erschienenen Erzählungen, die Kat Menschik liebevoll illustriert hat.

Jemandem zu beschreiben, der noch nie Murakami gelesen hat, warum man jedes Wort dieses einzigartigen Autors in sich aufsaugen möchte, ist wahrscheinlich kompliziert. Ich gehöre zu den Lesern, die nach gewisser Zeit ohne einen Roman oder eine Erzählung von ihm Entzugserscheinungen bekommen. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Lesestoff. Ich gehe an mein Regal ….

Diesmal wähle ich „Die unheimliche Bibliothek“, eine Erzählung aus dem Jahre 2005.  Darin geht es um einen  Jungen, der zur Bibliothek läuft, um sich diverse Bücher über die Steuereintreibung im Osmanischen Reich auszuleihen. Ein grummeliger alter Mann gibt ihm zwar zwei zerlesene Exemplare, zwingt ihn aber gleichzeitig, ihm in ein labyrinthartiges Gewölbe unter der Bibliothek zu folgen. Nur hier dürfe er lesen. Ausleihen unmöglich –

„Mir wurde unbehaglich zumute. Um ehrlich zu sein, war ich keineswegs sonderlich erpicht, etwas über die Steuern im Osmanischen Reich zu erfahren. Doch hatte sich mir auf dem Heimweg von der Schule unvermittelt die Frage gestellt: Wie haben die eigentlich damals im Osmanischen Reich die Steuern eingetrieben? Und wenn ich etwas nicht wusste, ging ich immer sofort in die Stadtbücherei, um es herauszufinden. Schon von klein auf.“ (S. 10)

Im weiteren Verlauf dieser phantastisch anmutenden Story steht überraschend der Schafsmann vor dem Jungen. Und ich glaube, das ist genau der Moment, wo man als erfahrener Murakami-Leser im reinen Glück ist. Nur wer „Die wilde Schafsjagd“ kennt, weiß wahrscheinlich um das Geheimnis des Schafsmannes – hier begegnet man ihm also wieder in seinem seltsam übergehängten Schafspelz mit den langen Ohren …                                                                                                             Alles ist so vertraut und doch wieder ganz anders. Murakami eben. Dann taucht das schöne stumme Mädchen auf. Doch existiert es wirklich? Ist sein Kuss auf die Wange des Jungen real oder geträumt?                                                                    Beide, der Schafsmann und das stumme Mädchen, warnen den Jungen vor einer großen Gefahr –

Viel zu schnell bewegt sich die Geschichte dann auf ihr Ende zu. Dank der beeindruckend schönen Illustrationen von Kat Menschick kann man aber beim Lesen inne halten und sich im Anblick der kleinen Kunstwerke verlieren. Und obwohl ich meine Bilder zu Geschichten lieber im Kopf entstehen lasse (Murakami ist ein virtuoser Zauberer ganzer Kopfwelten), genieße ich ihre Impressionen zu Murakamis Gedankenkosmos: schwarz glitzernde Diamanten, melancholisch, phantasievoll, mystisch..