Schostakowitsch und der Lärm der Zeit

barnes_larm_der_zeitDer Komponist Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch liebte die Bücher von Gogol, von Tschechow und von Puschkin. Turgenjew mochte er weniger, doch las er ihn gern, weil er trotz all seiner Fehler einen echt russischen Pessimismus besaß. Ja, er hatte begriffen, dass russisch zu sein hieß, pessimistisch zu sein. (S. 97).
Nun hatte ein echter Sowjetbürger aber optimistisch zu sein. Und Optimismus fiel Schostakowitsch so unendlich schwer. Was nicht wundert bei einem Leben in jener Zeit. Als 1936 schließlich die Aufführung seine Oper Lady Macbeth von Mzensk im Bolschoi-Theater Stalins Zorn provoziert, scheint es das endgültige Aus für den berühmten Komponisten zu sein. 

Was dann folgt, ist eine Zeit der Angst. Julian Barnes beschreibt, wie Schostakowitsch Nacht für Nacht mit gepacktem Koffer am Fahrstuhl wartet, weil er überzeugt davon ist, abgeholt zu werden. Weil er nicht im Bett vom NKWD überrascht werden will. Diese nächtlichen Szenen eines verzweifelt wartenden und Zigarette um Zigarette rauchenden Dmitri Dmitrijewitsch hat einen seelischen Schmerz in mir ausgelöst, wie das schon lange kein Buch mehr geschafft hat. Zuletzt vielleicht die Geschichten über Stasia, Christine, Kitty und Niza im 2014 erschienen Roman Das achte Leben von Nino Haratischwili.

Und so ist es ganz besonders diese Momentaufnahme eines auf sein Verhör (und vielleicht seinen Tod) wartenden genialen jungen Musikers, die sich für immer in mein Herz gebrannt hat.

Welch großer Druck hinter jedem Gedanken, einem gesagten Wort oder einer gespielten Melodie gestanden haben muss. Denn ein falscher Ton konnte den Gulag bedeuten. Weil also die Wahrheit auszusprechen tödlich sein konnte, wählten viele Intellektuelle die Ironie – eine Möglichkeit, man selbst zu bleiben. Auch Schostakowitsch hatte sich in seiner Verzweiflung schließlich für die Ironie entschieden. Zu sehr liebte er seine Familie, seine Musik und sein Leben. Und um diese zu schützen, wählt er jeden Kompromiss.

Sarkasmus war gefährlich für den, der ihn gebrauchte, weil als die Sprache der Schädlinge und Saboteure erkennbar. Mit Ironie aber konnte man sich – vielleicht, manchmal, so hoffte er – bewahren, was einem lieb und teuer war, selbst wenn der Lärm der Zeit so laut wurde, dass er Fensterscheiben zerspringen ließ (S. 118). Ironie als Geheimsprache – vorbei an den Ohren der Mächtigen. Das gefällt mir. Doch schützte Ironie allein eben auch nicht. Das stalinistische System verlangte bedingungslose Ergebenheit und die ständige Bestätigung dieser. Um als Künstler zu überleben, blieb Schostakowitsch schließlich nur, zu lügen …

Dann hatte er während des Großen Vaterländischen Krieges seine siebte Symphonie geschrieben, deren antifaschistische Botschaft auf der ganzen Welt erklungen war. Also hatte er Vergebung erlangt (S. 102). Dass aber diese Vergebung nicht gleichzusetzen war mit Vergessen, bekam er noch Jahre lang zu spüren. So zieht sich das Drama um seine Oper Lady Macbeth von Mzensk wie ein roter Faden durch sein Leben. Selbst als er Jahrzehnte später versucht, sie neu zu interpretieren, indem er Änderungen einbaut, wird sie wiederholt abgelehnt. Erst im Januar 1963 konnte sie unter dem neuen Namen Katerina Ismailowa uraufgeführt werden.

Er lügt wie ein Augenzeuge ist ein altes russisches Sprichwort, welches ganz gut auch auf dieses Buch zutrifft. Weil es weder hundertprozentig historisch korrekt noch streng biographisch erzählt ist. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Manches hat Barnes sich dazu gesponnen, wie er im Nachwort erklärt. Er sagt dort auch, wie unglaublich kompliziert es ist, die Wahrheit über die Stalin-Ära herauszubekommen. In drei Biographien über eine einzige Person können völlig verschiedene Sachen geschrieben sein. Was auch immer er zum Thema gelesen haben mag – Barnes ist es gelungen, das Beste daraus zu machen: Diesen so schmalen und dabei doch absolut inhaltsreichen und zutiefst bewegenden Roman.
Und nun sitze ich hier, höre Schostakowitschs The Jazz album und bin glücklich über diese inspirierende Verbindung von Literatur und Musik.

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Julian Barnes. Der Lärm der Zeit. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Mit einer Anmerkung des Autors. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2017. 245 Seiten. 20,- €

15 Antworten zu “Schostakowitsch und der Lärm der Zeit

  1. Sehr schöner Roman, hat mir auch sehr gefallen – hat ganz schön lange dieses Mal mit der Übersetzung gedauert.

    The Noise of Time – Julian Barnes

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  2. Liebe Masuko,
    hatte es in der Buchhandlung auch schon in der Hand und war mir nicht ganz sicher. Allerdings habe ich schon ein Werk von Barnes gelesen, welches mir gut gefiel und jetzt Deine Besprechung. Da kann ja nichts schief gehen. Auch das Thema reizt mich sehr.
    Danke für diesen Tipp.
    Liebe Grüße
    lesesilly

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    • Liebe lesesilly,
      ich war auch lange zögernd. Bin überhaupt kein Barnes-Leser.
      Ich hab auch in diese Story nicht sofort hinein gefunden, habe das Buch wieder weg gelegt und später neu begonnen. Doch dann war da so ein magischer Moment und die Story hatte mich.
      Ich wünsche dir ein ähnliches Leseglück und grüße dich herzlich, masuko

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  3. Pingback: Julian Barnes – Der Lärm der Zeit | Muromez

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  5. Liebe Masuko,
    leider kann ich mein Leseglück mit diesem Buch nicht finden. Ich komme einfach nicht in die Geschichte hinein. Schaffe immer nur ein paar Seiten, da es mich nicht einfängt. Bin jetzt ca. bei der Hälfte und denke, ich werde es abbrechen. Es gibt noch so viele schöne Bücher, die auf mich warten.
    Was liest du denn zur Zeit?
    Liebe Grüße
    lesesilly

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    • Liebe lesesilly,
      das ist ja schade – aber dann musst du es eben weglegen. Nicht immer springt der Funke der Begeisterung über.
      Ich hatte mich durch Zafóns „Layrinth der Lichter“ durchgekämpft und brauchte dann etwas vertraut Schönes. Also dachte ich, wie wäre es mit einem frühen Murakami. Und so lese ich jetzt total verzaubert … „Sputnik Sweatheart“. Und freue mich auf jede freie Zeit, damit ich weiterlesen kann. Das ist wahres Leseglück ❤
      Liebe Grüße, masuko

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  6. Hat Dir der Zafon nicht gefallen? Ich fand die anderen drei Bände total schön. Berichte doch mal kurz.
    Ja. Mit Murakami kann man nichts verkehrt machen. „Sputnik Sweatheart“ kenne ich allerdings noch nicht. Muss ich mir mal anschauen.
    Viel Spaß dann mit Deinem Murakami.
    Liebe Grüße
    lesesilly

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    • Doch, na klar hat er mir gefallen! Er ist nur unglaublich kompakt und in der Mitte der Story dachte ich kurz, ich verlier den Überblick. Zafon hat aber alles überschaubar entwirrt. Und mit Alicia eine ganz unvergessliche Heldin geschaffen, wegen der ich natürlich wissen musste, wie es endet. Und Barcelona ist ja die eigentliche Hauptfigur. Warst du mal da? Ich schon! Und ich liebe es.
      Murakami ist ja eine ganz andere Liga. Still, tiefsinnig, übersinnlich und unglaublich schön. Liebe Grüße!

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  7. Hallo! Tolle Rezension, auch wenn mir das Hörbuch zu „Der Lärm der Zeit‘ nicht so gut gefallen hat und ich mit Julian Barnes wahrscheinlich eher nicht warm werde. Liebe Grüße!

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  8. Pingback: Julian Barnes: Der Lärm der Zeit (2017) – Wissenstagebuch

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