Schlagwort-Archive: Verlag Kiepenheuer & Witsch

Schostakowitsch und der Lärm der Zeit

barnes_larm_der_zeitDer Komponist Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch liebte die Bücher von Gogol, von Tschechow und von Puschkin. Turgenjew mochte er weniger, doch las er ihn gern, weil er trotz all seiner Fehler einen echt russischen Pessimismus besaß. Ja, er hatte begriffen, dass russisch zu sein hieß, pessimistisch zu sein. (S. 97).
Nun hatte ein echter Sowjetbürger aber optimistisch zu sein. Und Optimismus fiel Schostakowitsch so unendlich schwer. Was nicht wundert bei einem Leben in jener Zeit. Als 1936 schließlich die Aufführung seine Oper Lady Macbeth von Mzensk im Bolschoi-Theater Stalins Zorn provoziert, scheint es das endgültige Aus für den berühmten Komponisten zu sein.  Weiterlesen

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Imbolo Mbue. Das geträumte Land

mbue_das_getraumte_landEinige Tage lang habe ich vier außergewöhnliche Menschen durch New York begleiten können. Es wurde geliebt und gelacht, getrunken und gestritten. Ich habe viel erfahren über Familie und Zusammenhalt in schweren Zeiten. Wo es manchmal einfacher gewesen wäre, wegzulaufen oder sich für immer zu trennen. Es wurden Entscheidungen mit enormem Weitblick getroffen, die ich gar nicht erwartet hatte und die dann doch einleuchtend waren. Das geträumte Land hat mich am Ende sehr überrascht. Irgendwie hatte ich ganz eigene Vorstellungen und Wünsche für die Story. Und ganz besonders für Neni Jonga …  Weiterlesen

Tom Hillenbrand und seine kulinarischen Krimis mit Xavier Kieffer / 1. und 2. Fall

Tom_HillenbrandAls Buchhändlerin im Weihnachtsgeschäft rauschen die letzten Tage vor Weihnachten rasant an mir vorbei und ich habe in den Zeiten dazwischen gerade noch Zeit und Muße für einen richtig guten Krimi. Unterhaltend, spannend und extrem kulinarisch sind diese Krimis aus der Welt der Restaurants und der großen Küchen von Tom Hillenbrand. Nicht ganz unwichtig beim entspannten Lesen im Morgengrauen oder am Abend auf dem Sofa, ist die regelmäßige Begegnung mit dem sympathischen Xavier Kieffer aus Luxemburg. Der hat nach jahrelangem Stress als Sternekoch ein kleines Lokal mit nationalen Spezialitäten eröffnet. Malerisch gelegen und mit schönem Blick auf die Stadt, ist es gut besucht, das „Les Deux Eglises“. Weiterlesen

Feridun Zaimoglu. Siebentürmeviertel

zaimoglu_siebentürmeviertelDas historische Istanbul erleben! Mit Zaimoglu in die 30er Jahre reisen und sich einlassen auf einen sprachgewaltigen Roman … Die Vorfreude ist groß. Der Anfang des Romans ebenfalls. Weil das erste Kapitel den Namen „Der Erbarmer“ trägt und dies einer von vielen Namen Allahs ist, schaue ich ins Inhaltsverzeichnis. Es besteht aus 99 Kapiteln, die jeweils mit einem Namen Gottes überschrieben sind und sich Der Erhabene, Der Verzeiher, Der Großzügige … nennen. Im Vorsatz lese ich aus einer Überlieferung des Propheten, Gott hätte neunundneunzig schöne Namen, einen weniger als hundert.

Meine Neugier ist jetzt geweckt und ich beginne mit dem Prolog, der sich ebenfalls wie eine Aufzählung vieler Namen liest: Sie nennen mich Hitlers Sohn. Flüchtiger Arier. Kind mit Kraft. Sie nennen mich Windhundwelpe des Führers. Sie rufen mich den Gelben, die kleine Sonne, Zauberperle, lachendes glückliches Äffchen. Sie sagen: Verwandle dich nicht, und wir werden dich bewundernSie knurren die Laute, die Türken, sie pressen sie heraus, die Koseworte … Sie nennen mich: Das deutsche Kind, das die Düsternis vertreibt.

Das Kind heißt Wolf und schaut mit sehr klugen Augen in diese Metropole, eine Stadt voller Türken, Armenier, Tschetschenen, Griechen, Kurden … Weiterlesen

Annelie Wendenberg. Teufelsgrinsen. Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger

Wendenberg, TeufelsgrinsenZur Entspannung darf es bei mir ja gern immer mal ein Krimi sein. „Teufelsgrinsen“ hat mich eigentlich ziemlich schnell überzeugt, dass hier eine außergewöhnliche Autorin eine spektakuläre Story zu erzählen hat.

Annelie Wendeberg ist Umweltbiologin in Leipzig und vermittelt dieses Wissen in ihrem Blog scilogs. Irgendwann aber hatte sie Lust, einen Krimi zu schreiben und startete als Indie-Autorin mit einem  eBook. Das Verrückte daran ist, dass sie ihre Bücher selbst publiziert hat und das auch noch auf auf Englisch! „The Devil’s Grin“ ist sehr erfogreich gestartet und bereits in der 5. Auflage. Schließlich hat sie dem Verlag Kiepenheuer & Witsch ihr Manuskript angeboten und es ins Deutsche übersetzen lassen. So liegt uns nun glücklicherweise (!!) dieses Buch vor. Die aufregendsten Geschichten begegnen einem oft hinter den Geschichten.

Die Story beginnt im viktorianischen London, wo der angesehene Dr. Anton Kronberg von Scotland Yard zu einem Todesopfer bestellt wird:

„Ich war Bakteriologe und Epidemiologe, der Beste, den man in England finden konnte – was in erster Linie dem Mangel an Spezialisten auf diesem neuen Forschungsgebiet zuzuschreiben war. In ganz London gab es nur drei – von denen zwei meine Studenten gewesen waren. Bei sämtlichen Choleratoten oder anderen Opfern angriffslustiger Keime in und um London wurde ich hinzugebeten … London. Manchmal wurde ich dieser Stadt so überdrüssig, dass ich das unbändige Verlangen spürte, meine Habseligkeiten zu packen und aufs Land zu ziehen … Doch ich war Wissenschaftler und mein Gehirn brauchte Betätigung.“ (S. 12/13)

Dr. Anton Kronberg heißt eigentlich Anna und ist eine Frau – cool, unabhängig und sehr geheimnisvoll. Diese Rolle spielt sie im Privatleben täglich und sehr geschickt. Doch da es für eine Frau im 19. Jahrhundert absolut unmöglich ist, zu studieren und zu forschen, hat Anna die Alternative der Verkleidung gewählt. So widmet sie sich am Tag in Männerkleidern ihren wissenschaftlichen Forschungen. Niemand ahnt ihre wahre Identität.

An ihrer Seite (und von ihr anfangs mehr geduldet als akzeptiert) arbeitet der Detektiv Sherlock Holmes. Schnell spürt Anna, dass Holmes (anders als die meisten aller ihr bekannten Männer) einen scharfen Geist und klugen Wortwitz  besitzt. Es dauert auch nicht lange, bis er mit seinem analytischen Blick Annas wahre Identität erkennt. Es entwickelt sich eine rasante und spannende Story, die sehr von den intelligenten und witzigen Dialogen der beiden lebt. Schließlich bleibt es auch nicht bei dem einem Toten und schreckliche Dinge werden aufgedeckt –

Auch wenn „Teufelsgrinsen“ im viktorianischen London spielt, sollte man keinen im klassischen Stil erzählten Krimi erwarten. Wie der Verlag auf dem Einband ankündigt, ist Anna eine starke Heldin, die ihrer Zeit weit voraus ist. Anna denkt absolut modern und könnte genauso gut in der Jetzt-Zeit leben. Als ich beim Lesen einmal innehielt und überlegte, ob die Story so funktionieren kann, ist mir eingefallen, dass auch Sherlock Holmes nur eine von Conan Doyle erdachte, eine fikive Figur ist. Und auch wenn jeder ihn zu kennen glaubt, er hat nie gelebt, außer im Kopf des Autors vor mehr als hundert Jahren. Annelie Wendeberg beweist: alles ist möglich und der Phantasie sind einfach keine Grenzen gesetzt (nebenbei sei bemerkt, dass der Roman von der Sherlock Holmes Society of London geprüft wurde). Wichtig ist, dass es absolute Freude bereitet, diesen Krimi zu lesen und er Vorfreude weckt auf die nächsten Fälle mit Anna Kronberg – meiner neuen Heldin!

Annelie Wendeberg. Teufelsgrinsen. Ein Fall für Anna Kronberg. Verlag Kiepenhuer & Witsch 2014. 22 Seiten. 14,99 €