Mit diesem Roman hat Yoshimoto mich wieder ganz und gar verzaubert! „Der See“ ist eine tiefgreifende Liebesgeschichte, nach deren Lektüre man voller Hoffnung aufblickt und denkt: Ja. So schön, so tröstlich und so beruhigend kann Liebe sein. So will man selbst auch lieben. So. Und nur so.
Obwohl die Figuren ihrer Romane selten älter als 30 Jahre alt sind – auch Chihiro (Kunststudentin) und Nakajima (Medizinstudent) sind sehr jung – feiert Banana Yoshimoto im Juli ihren 50. Geburtstag! Vielleicht erwartet uns Leser auch mal die Geschichte einer späten Liebe? Doch, wie ist das eigentlich mit der Liebe? Trägt nicht jeder für immer und ewig dieses Gefühl in sich, nie wirklich erwachsen zu werden? In dem Roman „Geschichte für einen Augenblick“ von Ruth Ozeki fragt das 16jährige Mädchen Nao seine Urgroßmutter Jiko (104 jahre alt), wie alt man werden muss, bis der Verstand wirklich erwachsen ist. Die Antwort der alten Jiko: 105 Jahre! Interessante Antwort. Und möglicherweise ernst gemeint.
Tokio. Der stille und zurückgezogen lebende Nakajima und das offensive Mädchen Chihiro beobachten sich gegenseitig durch die Fensterscheiben ihrer Wohnungen, begegnen sich schließlich und mögen sich auf Anhieb. Zwischen beiden entwickelt sich, zart wie eine Bambussprosse, eine vorerst freundschaftliche Beziehung. Chihiro, die mehr mit dem Körper als mit dem Kopf denkt, bemerkt irgendwann, dass mit Nakajimas Körper irgendwas nicht stimmt. Sein Leben scheint von einem dunklen Geheimnis in seiner Vergangenheit geprägt. Von diesem Gefühl beeinflusst, gelingt es ihm nicht, im Hier und Jetzt wirklich glücklich zu sein. Sie drängt ihn, „zurück“ in seine Kindheit zu gehen, den Knoten zu lösen. Nur so könne es eine Chance für eine gemeinsame Zukunft geben.
Denn längst ist Chihiro wahnsinnig verliebt. Mit Haut und Haar. Statt wie früher Beruhigung zu finden beim Streicheln und Liebkosen ihrer Katze, genügt nun allein die Anwesenheit Nakajimas. Wenn er da ist, hellt sich ihre Stimmung auf, neutralisiert sich das Gift in ihrem Herzen. „Ich fühlte mich, als würde ich in den endlos weiten Himmel schauen oder, im Flugzeug sitzend, über dem leuchtend weißen Wolkenmeer schweben. Es war so schön, dass es schmerzte…“ (S. 151). An der Seite Nakajimas fühlt Chihiro eine bisher ungekannte Verbundenheit mit dem gesamten Universum. Eine Liebe so tief, dass sie erschauert.
Für Nakajima wird dieser Weg in die Vergangenheit sehr schmerzvoll. Er führt zurück an den See. Dort, wo er eine zeitlang als kleiner Junge gelebt hat. Dort am See begegnet er zwei ganz besondere Menschen, die Nakajima helfen können –
Wie schön, dass es die Romane von Banana Yoshmoto gibt! Und wie man das bei ihr kennt und es auch erwartet, verschwimmen auch in „Der See“ die Grenzen zwischen Realität und Imagination auf ganz besondere Weise. Man liest diese 220 Seiten und hat das Gefühl, eine kleine spirituelle Reise gemacht, einen Tempel besucht oder dem Gebet einer buddhistischen Nonne gelauscht zu haben. Erfüllt von Ruhe und tiefen Glück.
Und falls Ihr Euch auch immer schon gefragt habt, wie eine Japanerin zu dem Namen Banana kommt: Inspiriert von der bezaubernden Blüte der Red Banana Flower soll sie ihren wirklichen Namen Mahoko Yoshimoto getauscht haben gegen den Künstlernamen Banana Yoshimoto.

Weitere Beiträge zum Roman „Der See“ – außergewöhnlich gestaltet und absolut lesenswert – findet Ihr bei der Klappentexterin und bei deepread.
Banana Yoshimoto. Der See. Diogenes Verlag. Zürich 2014. 220 Seiten
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