Schlagwort-Archive: Kein & Aber

Mason Currey. Musenküsse. Die täglichen Rituale berühmter Künstler

Kreatives Pensum„Für mein kreatives Pensum gehe ich unter die Dusche.“, sagt Woody Allen. Er würde dann da gern 30 oder 45 Minuten lang so unter dem heißen Wasser stehen und seine Ideen entwickeln. Capote wiederum behauptet von sich, ein „durch und durch horizontaler Schriftsteller“ zu sein. Wenn er nicht liege, könne er nicht nachdenken. Dabei müsse er ständig paffen und nippen, „von Kaffee über Pfefferminztee hin zu Sherry und Martinis“. Auch Proust schrieb ausschließlich im Bett. In gekrümmter Haltung und das einzige Licht eine schwache grün bespannte Nachttischlampe.  Weiterlesen

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Elif Shafak. Ehre

Was für eine wundervolle Verbindung:

Shafak_Ehre_HCEin paar Tage Urlaub in der Türkei machen, unzählige Gläschen Tee (mit viel Zucker!!) leeren, der wundervollen türkischen Sprache sowie dem endlosen Rauschen des Meeres lauschen und dabei einen Roman lesen, der mich genau dorthin entführt: in die Türkei.

Ich habe mich für das „echte“ Buch entschieden, denn Herzensbücher als eBook zu lesen, das schaffe ich nur in ganz wenigen Ausnahmen. Es  muss beim Blättern nach Papier duften, ich will dem Rascheln der Seiten nachspüren und natürlich mein geliebtes Lesezeichen aus Stoff benutzen. Mit dem türkischen Halbmond …

türkischer tee 002Auch wenn „Ehre“ nicht ausschließlich in der Türkei spielt, besitzt der Roman doch eine ganz besondere Atmosphäre, die mich absolut in ihren Bann zieht. Auch Shafaks Figuren sind wieder so lebendig! Allen voran Iskender Toprak, seine Mutter Pemba, die Geschwister Esma und Yunus. Die kleine Familie emigriert in den 70er Jahren aus dem kurdischen Teil der Türkei  nach London. Die alten Traditionen und Wertvorstellungen aus dem Leben im kurdischen Dorf bringen sie mit.  Weiterlesen

Elif Shafak. Die vierzig Geheimnisse der Liebe

ElifShafakIch liebe Romane, die nicht einfach nur eine Geschichte erzählen, sondern mir am Ende noch eine kleine Weisheit mit auf den Weg geben. Die türkische Autorin Elif Shafak hat einen solchen Roman geschrieben. Endlich liegt er nun auch als Paperback in den Buchhandlungen aus. Cover und Titel versprechen ein orientalisches/spirituelles Thema. Man hält das Buch in der Hand, spürt etwas Besonderes. Als würde jemand ganz leise rufen: öffne mich, lies mich. Jetzt!

Erzählt wird die Geschichte einer etwa 40jährigen Frau, die erkennt, dass sie ihr restliches Leben nicht damit verbringen will, weiterhin mit dem Strom zu schwimmen. Sie verspürt den Wunsch nach Veränderung, will die Tristesse ihres Alltags hinter sich lassen. Sie will selbst der Strom sein. Das klingt kompliziert, unlösbar, doch eigentlich muss sie nur den entscheidenden ersten Schritt tun und der Stimme ihres Herzens folgen…..

ShafakElifElla – perfekte Ehefrau und Mutter – arbeitet zu Hause als Gutachterin von Romanen und bekommt eines Tages das Manuskript des unbekannten Autors Aziz Zahara zugeschickt. In dem Roman, der im 13. Jahrhundert spielt, geht es um den persischen Dichter und Sufi-Poeten Rumi. Dessen Dichtkunst wird ganz entscheidend geprägt von seinem besten Freund, dem Derwisch Schams. Die spirituelle Freundschaft, die beide Männer verbindet, ist so kraftvoll und inspirierend wie eine tiefe Liebe. Eifersuchtsdramen und Schmerz bleiben nicht aus.

In wechselnden Passagen erfährt man die Geschichte von Rumi und Schams sowie die von Ellas Leben in der Gegenwart. Anfangs skeptisch, dann fasziniert und geradezu süchtig folge ich gemeinsam mit der lesenden Ella den beiden Männern ins 13. Jahrhundert. Bis nach Konya in die heutige Türkei – dort ist Rumi begraben. Ich liebe die spirituellen Weisheiten, die religiösen Anspielungen. Während Ella sich dem Manuskript mehr und mehr annähert, entspinnt sich gleichzeitig ein intensiver Mailkontakt zwischen ihr und Aziz. Schon lange geht es nicht mehr ausschließlich um den Roman „Süßer Blasphemismus“ und Aziz wird zu einem wichtigen Berater aller Lebens- und Liebesfragen von Ella.

Ich hoffe und ich zittere mit ihr! Wenn sie in ihrem Zimmer verschwindet, sich aus ihrem routinierten Familienalltag ausklinkt, um nach neuen Mails von Aziz zu schauen. Wenn sie diese mit rasendem Atem liest und mit fliegenden Fingern beantwortet. Aus Ella, deren Leben man am Beginn der Story am besten mit den Tönen Grau und Braun beschreiben könnte, wird eine Frau, die von innen her leuchtet. Eine Frau mit einer geheimen Farbe – einem hellen, verlockenden Rot.

Die Entscheidung, welche sie schließlich trifft, bringt ihr größtes Glück und tiefsten Schmerz. Doch das schönste Geschenk, dass sie sich selbst gemacht hat, das ist ein freies und selbstbestimmtes Leben. Verbunden mit der Erkenntnis, dass jeder die tiefste und größte Liebe in sich selbst findet.

Elif Shafak. Die vierzig Geheimnisse der Liebe. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger. Kein & Aber. Zürich 2014. 503 Seiten. 12.90 €

Robert Seethaler. Der Trafikant – endlich als Paperback

TrafikantZwei Tage ist es her, dass ich den letzten Satz von „Der Trafikant“ gelesen und das Buch glücklich zugeschlagen habe. Das Gefühl, den Duft von Tabak und Druckerschwärze zu spüren, will mich seitdem einfach nicht verlassen. Ich war weit weg … Im Wien der 30er Jahre.

Franz Huchel aus Nußdorf am See ist 17 Jahre alt und hat das Salzkammergut in seinem Leben erst zweimal verlassen. Einmal, um in Linz einen Schulanzug zu kaufen und ein anderes Mal, um mit der Schulklasse nach Salzburg zu fahren.

Aber jetzt sitzt Franz im Frühzug nach Wien und alles ist anders, als es je gewesen ist. Es ist der Spätsommer des Jahres 1937 und er wird von Otto Trsnjek erwartet, um bei ihm in der Trafik auszuhelfen. Ohne große Erklärungen hatte die Mutter gemeint, sie hätte noch einen Gefallen beim Otto offen und dann war alles ganz schnell gegangen.

Begleitet vom zarten Klingeln der Türglocken betritt Franz den Laden. Und weil ihm noch „das halbe Salzkammergut an den Füßen hängt“, wird er sofort erkannt und freundlich mit „Servus, Franzl“ begrüßt. Staub flirrt in schmalen Lichtbalken. Es duftet intensiv nach Tabak, Papier und Druckerschwärze. Otto – ein wunderbarer und herzensguter Mensch – erwartet von Franz lediglich, dass der zur besseren Beratung täglich alle Zeitungen liest. Für Franz eine große Herausforderung, die er sehr ernst nimmt. Die Tage vergehen mit frühem Aufstehen, Zeitungsschau, Verkauf. Noch läuft die Trafik gut. Es ist die Zeit, da die Leute ganz „närrisch“ nach diesem Hitler und nach schlechten Nachrichten sind. Und geraucht und gelesen wird sowieso immer, denkt Otto Trsnjek.

Doch auf der Straße läuft Geschichte im Eiltempo ab. Begleitet vom ewigen Glöckchenbimmeln und dem Tabakduft, tauchen Hitlerfahnen auf, werden Leute verhaftet, Geschäfte demoliert. Mir gefiel beim Lesen, dass Seethaler diese großen Ereignisse draußen vor der Tür nur skizzenhaft andeutet. Dinge, von denen auch die Trafik nicht verschont bleiben wird –

Demgegenüber steht das intensive Innenleben von Franz. Wie er die Großstadt in sich aufsaugt! Wie er lernt, nicht nur die einzelnen Zeitungen und Magazine für Damen, sondern auch die Zigarrensorten zu unterscheiden. Wie er versucht, beim Rauchen der ersten Zigarre ein Mann zu werden. Wie er sich mehr und mehr abnabelt von seiner Mutter, der er Briefe und Ansichtskarten voll Liebe und Respekt schickt. Und wie Franz sich in Anezka, die Varietétänzerin, verliebt. Doch Anezka ist nicht nur drei Jahre älter. Sie ist ihm außerdem an Erfahrungen in Sachen Liebe weit überlegen. Franz ist seinen Gefühlen ohnmächtig ausgeliefert. Vorsichtig und in der Hoffnung auf Hilfe, nähert er sich dem berühmten Sigmund Freud (Stammkunde in der Trafik). Eine zaghafte Männerfreundschaft entsteht zwischen dem Jungen und dem alten Professor.

Seethaler hat einen wahnsinnig guten, einen intensiven, atmosphärischen und (bei aller Tragik) humorvoll erzählten Roman geschrieben. Die Geschichte lässt einen nicht eine Minute unberührt. Zeile um Zeile folgt man den Schicksalen von Franz, Anezka, Otto Trsnjek und Sigmund Freud. Kein Wort zu viel. Keine Szene zu lang. Es ist ein bißchen wie eine Zeitreise. Man hat das Gefühl, für ein paar Stunden dort gewesen zu sein. Im Wien der 30er Jahre. Umhüllt von Tabakduft und Druckerschwärze…..

Robert Seethaler. Der Trafikant. Kein & Aber. Zürich 2014. 256 Seiten. 9,90 €