Zwei Tage ist es her, dass ich den letzten Satz von „Der Trafikant“ gelesen und das Buch glücklich zugeschlagen habe. Das Gefühl, den Duft von Tabak und Druckerschwärze zu spüren, will mich seitdem einfach nicht verlassen. Ich war weit weg … Im Wien der 30er Jahre.
Franz Huchel aus Nußdorf am See ist 17 Jahre alt und hat das Salzkammergut in seinem Leben erst zweimal verlassen. Einmal, um in Linz einen Schulanzug zu kaufen und ein anderes Mal, um mit der Schulklasse nach Salzburg zu fahren.
Aber jetzt sitzt Franz im Frühzug nach Wien und alles ist anders, als es je gewesen ist. Es ist der Spätsommer des Jahres 1937 und er wird von Otto Trsnjek erwartet, um bei ihm in der Trafik auszuhelfen. Ohne große Erklärungen hatte die Mutter gemeint, sie hätte noch einen Gefallen beim Otto offen und dann war alles ganz schnell gegangen.
Begleitet vom zarten Klingeln der Türglocken betritt Franz den Laden. Und weil ihm noch „das halbe Salzkammergut an den Füßen hängt“, wird er sofort erkannt und freundlich mit „Servus, Franzl“ begrüßt. Staub flirrt in schmalen Lichtbalken. Es duftet intensiv nach Tabak, Papier und Druckerschwärze. Otto – ein wunderbarer und herzensguter Mensch – erwartet von Franz lediglich, dass der zur besseren Beratung täglich alle Zeitungen liest. Für Franz eine große Herausforderung, die er sehr ernst nimmt. Die Tage vergehen mit frühem Aufstehen, Zeitungsschau, Verkauf. Noch läuft die Trafik gut. Es ist die Zeit, da die Leute ganz „närrisch“ nach diesem Hitler und nach schlechten Nachrichten sind. Und geraucht und gelesen wird sowieso immer, denkt Otto Trsnjek.
Doch auf der Straße läuft Geschichte im Eiltempo ab. Begleitet vom ewigen Glöckchenbimmeln und dem Tabakduft, tauchen Hitlerfahnen auf, werden Leute verhaftet, Geschäfte demoliert. Mir gefiel beim Lesen, dass Seethaler diese großen Ereignisse draußen vor der Tür nur skizzenhaft andeutet. Dinge, von denen auch die Trafik nicht verschont bleiben wird –
Demgegenüber steht das intensive Innenleben von Franz. Wie er die Großstadt in sich aufsaugt! Wie er lernt, nicht nur die einzelnen Zeitungen und Magazine für Damen, sondern auch die Zigarrensorten zu unterscheiden. Wie er versucht, beim Rauchen der ersten Zigarre ein Mann zu werden. Wie er sich mehr und mehr abnabelt von seiner Mutter, der er Briefe und Ansichtskarten voll Liebe und Respekt schickt. Und wie Franz sich in Anezka, die Varietétänzerin, verliebt. Doch Anezka ist nicht nur drei Jahre älter. Sie ist ihm außerdem an Erfahrungen in Sachen Liebe weit überlegen. Franz ist seinen Gefühlen ohnmächtig ausgeliefert. Vorsichtig und in der Hoffnung auf Hilfe, nähert er sich dem berühmten Sigmund Freud (Stammkunde in der Trafik). Eine zaghafte Männerfreundschaft entsteht zwischen dem Jungen und dem alten Professor.
Seethaler hat einen wahnsinnig guten, einen intensiven, atmosphärischen und (bei aller Tragik) humorvoll erzählten Roman geschrieben. Die Geschichte lässt einen nicht eine Minute unberührt. Zeile um Zeile folgt man den Schicksalen von Franz, Anezka, Otto Trsnjek und Sigmund Freud. Kein Wort zu viel. Keine Szene zu lang. Es ist ein bißchen wie eine Zeitreise. Man hat das Gefühl, für ein paar Stunden dort gewesen zu sein. Im Wien der 30er Jahre. Umhüllt von Tabakduft und Druckerschwärze…..
Robert Seethaler. Der Trafikant. Kein & Aber. Zürich 2014. 256 Seiten. 9,90 €
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