Schlagwort-Archive: Diogenes Verlag

An elephant can glow in the dark … good news? Martin Suter. Elefant

suter_elefantEin Gedanke lässt Martin Suter seit etwa 10 Jahren nicht los: Dass es gentechnisch möglich sei, einen winzigen rosaroten Elefanten zu erzeugen. Er beginnt, Fachleute zu den Gefahren und zu den Chancen der Gentechnik zu befragen, erfährt Erstaunliches und findet ganz nebenbei die Inspiration zu einer neuen Geschichte. Dieser Geschichte. Und die ist alles andere als rosarot! Sie hat mich erschüttert und gleichzeitig total glücklich gemacht. Und, ganz klar – der kleine Elefant Saba hat mein Herz im Sturm erobert. Mein hundertprozentiges Mitgefühl allerdings auch.  Weiterlesen

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Eve Harris. Die Hochzeit der Chani Kaufman

Harris_Chani_KaufmanChani Kaufman ist blaß, dunkelhaarig, schlank und äußerst klug. Sie lebt im heutigen London und ist 19 Jahre alt, als sie heiratet. Die Ehe mit Baruch – so hofft sie – wird sie aus der bedrückenden familiären Enge im Haus ihrer Eltern führen. Neugierig lese ich die ersten Sätze dieser mir unbekannten Autorin, bin sofort gebannt und gerate immer tiefer hinein in diese mutige und klug erzählte Geschichte, die ich schließlich bis zum letzten Satz atemlos verschlinge.

Reglos stand die Braut da, unter Lagen kratziger Petticoats wie zur Salzsäule erstarrt. Schweiß lief ihr den Rücken hinunter … Jetzt war es soweit. Dies war ihr Tag. Der Tag, an dem ihr Leben endlich begann. Sie war neunzehn und hatte noch nie die Hand eines Jungen gehalten (S. 7).

Doch auch die Mehrzahl der Jungen in dieser jüdisch-orthodoxen Gemeinde Londons ist erschreckend unerfahren. Diese Jungen wissen NICHTS! Mit 20 Jahren stolpern sie in eine Ehe, die meist arrangiert wird, und wissen nichts über Hormone, über Sex, über Frauen.  Weiterlesen

Patricia Highsmith. Carol oder Salz und sein Preis

Highsmith_Carol_oder_Salz_und_sein_PreisDer Sommer boomt, die Hitze in der Großstadt ist kaum noch auszuhalten. Warum also die Gedanken nicht mal wandern lassen an einen kühleren Ort und in eine andere Zeit … Vorweihnachtliche Stimmung im New York der 50er Jahre. Um sich ein wenig Geld dazu zu verdienen, arbeitet Therese in der Spielzeugabteilung eines Kaufhauses. Übermächtig lastet auf ihr das Sinnlose ihrer Tätigkeit. Sie hat das Gefühl, dieser Job mit seiner hoffnungslosen Tristesse hindere sie daran, das zu tun, was sie eigentlich gern tun würde. Sie ist Bühnenbildnerin und entwickelt mit großer Leidenschaft Modelle für Theaterbühnen. Doch fehlt ihr die Zeit für Kreativität. Auch macht ihre Beziehung mit Richard sie nicht glücklich. Er ist gut zu ihr und manchmal war ihr, als wäre sie verliebt … Doch diese Empfindung hatte keine Ähnlichkeit mit dem, was sie über die Liebe gelesen hatte. Die Liebe galt als eine Art seligen Irrsinns (S. 42). Und wenn sie die Arme um Richard legte, dann kam sie sich gehemmt und töricht vor, als würde sie einen Baumstamm umarmen (S. 35).

In all dieser sinnlosen Tristesse steht eines Tages Carol vor ihr. Weiterlesen

Benedict Wells. Becks letzter Sommer

wells_becks_letzter_sommerAls er bei Neapel vor einem Lokal parkte, hatte Beck acht Stunden Fahrt und sein ganzes Leben hinter sich. Beim Aussteigen fiel ihm auf, dass sein graues Cordjackett zerknittert war.

Bereits mit diesen ersten zwei Sätzen hat Benedict Wells mich komplett in seinen Roman hineingezogen. Ohne vorher den Klappentext zu lesen, weiß ich bereits – das ist mein Buch. Im nächsten Kapitel geht es zurück in die 90er Jahre. Beck ist Lehrer für Deutsch und Musik an einem Gymnasium in München. Er hasst seinen Beruf, er hasst das Gymnasium (Beck hatte hier sein Abitur gemacht, sein Vater war Lehrer an diesem Gymnasium!) und er hasst seinen Kollegen Norbert Berchthold.

Was er nicht hasst: gute Musik, seinen Freund Charlie, seinen 17jährigen Schüler Rauli aus Litauen und die 10 Jahre jüngere Lara, die gerne in Clubs geht, um zu tanzen. Weiterlesen

Banana Yoshimoto. Moshi, Moshi

Yoshimoto_moshiVerliert man als Teenager seinen Vater, so  ist das verdammt hart. Geschieht dies auch noch unvorbereitet und es bleibt nicht einmal Zeit, um Abschied zu nehmen, kann einen das total aus der Bahn katapultieren. Yutchan ist etwa zwanzigjährig, als ihr Vater Selbstmord begeht. Sie hat ihn sehr geliebt. Als kleines Mädchen hatte Yutchan ihn oft begleitet nach Thailand, Shanghai und New York. Er war Keyborder in einer populären japanischen Rockband. War er nicht auf Reisen, kehrte er oft erst mitternachts heim und im Haus lief Musik. Freunde waren da und bis in den Morgen hinein lauschte die kleine Yutchan den leise gespielten Jamsessions.

Der Schock ist groß, die Trauer tief. Yutchan verlässt die elterliche Wohnung, um in den berühmten Tokioter Szenebezirk Shimokitazawa zu ziehen. Weiterlesen

Leon de Winter. Ein gutes Herz

leon_de winter_ein_gutes_herz_In wenigen Tagen erscheint Ein gutes Herz endlich im Taschenbuch! Nach den Ereignissen in der Pariser Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo denke ich viel an diesen Roman. Obwohl es einige Zeit her ist, dass ich ihn gelesen habe, ist er noch ganz und gar präsent in meiner Erinnerung. Geschickt vermischt der Autor in dieser Story fiktive und reale Personen. So taucht nicht nur der islamkritische Niederländer Theo van Gogh (+ 02.11.2004), sondern auch der Autor höchstpersönlich auf. Mit Ironie und bissigem Spott beschreibt Leon de Winter sich selbst als ganz und gar unattraktiven Mann. Und gibt damit dem ernsten Thema des Romans eine humorvolle Note.

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Dennis Lehane. The Drop – Bargeld

Lehane. The DropWas ein kleiner Pitbull mit dem Autor Dennis Lehane zu tun hat? In seinem neuen Thriller „The Drop – Bargeld“ ist Welpe Rocco so eine Art Schlüsselfigur und außerdem extrem liebenswert. Vor wenigen Tagen erschienen, hat der Roman mir geschätzte fünf Stunden bester Unterhaltung bei gleichzeitig atemberaubender Spannung geschenkt.

Erst wollte ich nur mal reinschauen, die Stimmung erspüren. Würde es mich genauso fesseln wie „Mystic River“ und „In der Nacht“? Es hat mich genauso gefesselt! Und zwar gleich mit den ersten Sätzen. Komplette Szenen öffnen sich vor meinem inneren Auge, es ist eine Art Lehane-Sog. Wie sonst könnte man etwas so Einzigartiges nennen?

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Evelyn Waugh. Verfall und Untergang – very british!

Waugh. verfallErstmals 1928 in London erschienen, liegt dieser sehr frühe Roman von Evelyn Waugh nun in der Neuübersetzung bei Diogenes vor. Es hat nicht sofort KLICK gemacht. Bis ich in der Story richtig „drin“ war, brauchte ich diesmal einige Seiten … um dann hoffnungslos gefangen zu sein! Ich erlebte außerdem eine verrückte Überraschung:  dem Buch beigefügt sind 6 Zeichnungen von Evelyn Waugh! Beispielsweise sieht man zwei biertrinkende Männer im Pub. Mit Krawatte, Pfeife, Hut und Stock. Die Textzeile unter der Illustration wiederholt sich dann im weiteren Verlauf der Story. Ich mag das (und wer die Romane von Erich Kästner mit den Trier-Illustrationen kennt, weiß, was ich meine). Sonst einfach mal in die nächste gutsortierte Buchhandlung gehen und in „Verfall und Untergang“ blättern. Es lohnt sich!

Was mich jedoch besonders faszinierte, das ist der Spott, das ist die gnadenlose Art, mit der Waugh seine Figuren beschreibt. Und sie dabei grenzenlos zu lieben scheint: den schrulligen Mr. Grimes mit dem Holzbein, Mr. Pendergast mit der schiefen Perücke, Mr. Philbrick und seine ewigen Lügengeschichten, die atemberaubend schöne Mrs. Margot Beste-Chetwynde. Und natürlich Paul Pennyfeather – immer korrekt, immer nett, manchmal ein bißchen introvertiert. Stoisch in seiner Art, die Dinge zu nehmen, wie sie sind.

Es sind die 20er Jahre, der Krieg ist gerade vorbei. Man feiert mondäne Partys und schlürft köstliche Cocktails aus Absinth und Wodka. Paul Pennyfeather, Student am Campus, wird in einen unglücklichen Vorfall verwickelt und gnadenlos gefeuert. Er bekommt eine Stelle als Lehrer an der Highscool auf Llanabba Castle. Nach seiner dortigen Ankunft durchquert er bangen Herzens eine Reihe unbeleuchteter Korridore, in denen es nach allen möglichen grässlichen Schuldünsten riecht. Das ungute Gefühl will Paul einfach nicht verlassen. Jungs starren ihn an und kichern respektlos … Schnell wird klar: Paul ist nicht der perfekte Lehrer und wird es nie sein. Llanabba Castle mit seinen grotesken Bewohnern empfindet er wie einen grässlichen Albtraum.

Weshalb er eine großartige Chance darin sieht, diesen Ort zu verlassen und mit der sehr reichen und geheimnisvollen Mrs. Beste-Chetwynde eine Affäre zu beginnen. Und sich schließlich mit ihr zu verloben. Große Aufregung in ganz London!

„Aus irgendeinem Grund schien die Öffentlickeit Pauls Hochzeit als besonders romantisch zu empfinden. Vielleicht bewunderten die Leute die Tatkraft und Tapferkeit, mit denen sich Margot nach zehn Jahren Witwenschaft freiwillig aufs Neue den tausendundeinen Schrecken einer mondänen Hochzeit aussetzte, oder Pauls plötzlicher Aufstieg vom Lehrer zum Millionär brachte in jedem von ihnen eine verborgene Optimismus-Saite zum Klingen … Was auch der Grund sein mochte, bei den unteren Schichten stieß die Hochzeit jedenfalls auf beispiellose Begeisterung.“ (S. 206-208)

Paul fühlt sich wie ein Kosmopolit: Heute das Rizz, morgen Marseille und in wenigen Tagen Honeymoon auf Korfu. Doch ein verhängnisvoller Auftrag von Margot führt ihn – ganz kurz vor der spektakulären Hochzeit – nach Marseille. Er hätte diesen Auftrag nie annehmen dürfen.

„Es war schon später Abend, als Paul in Marseille ankam … Die Szenerie hätte nicht finsterer sein können … Ein schwarzer, entsetzlich betrunkener Seemann sprach Paul in einer obskuren Sprache an und lud ihn ein, mit ihm zu trinken … Taub für die vielsprachigen Einladungen von allen Seiten drängte Paul weiter … Die ganze Straße schien ihn auszulachen.“ (S. 212-214)

Pauls Schicksal wendet sich mit rasendem Tempo. Auch wenn ich eine dunkle Ahnung beim Lesen gespürt habe, verschlinge ich nun ungläubig Zeile für Zeile. Hm, denke ich, was habe ich erwartet, der Roman heißt schließlich „Verfall und Untergang“. Und hoffe trotzdem …

… denn eigentlich ist der Roman voll zynischem Witz. Waughs Art, zu provozieren ist so unvergleichlich charmant! Und auch wenn die traurige Schönheit von „Wiedersehen mit Brideshead“ teilweise schon zu spüren ist, begeistert „Verfall und Untergang“ vordergründig mit hochamüsanten Dialogen. Waugh lässt seine Figuren in die unglaublichsten Situationen geraten, lässt sie dort scheitern oder elegant entkommen.

Ich würde ihn gern mal auf ein Glas Absynth  in einem alten englischen Landhaus treffen. Die Gespräche wären sicher einzigartig. Doch – schade – ich müsste dazu einige Jahrzehnte zurück ind vorige Jahrhundert reisen.

Evelyn Waugh starb 1966 in Taunton (Somerset).

Waugh, Evelyn

Evelyn Waugh. Verfall und Untergang. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Diogenes Verlag Zürich. 2014. 299 Seiten

Banana Yoshimoto. Der See. Aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg

yoshimoto, seeMit diesem Roman hat Yoshimoto mich wieder ganz und gar verzaubert! „Der See“ ist eine tiefgreifende Liebesgeschichte, nach deren Lektüre man voller Hoffnung aufblickt und denkt: Ja. So schön, so tröstlich und so beruhigend kann Liebe sein. So will man selbst auch lieben. So. Und nur so.

Obwohl die Figuren ihrer Romane selten älter als 30 Jahre alt sind – auch Chihiro (Kunststudentin) und Nakajima (Medizinstudent) sind sehr jung – feiert Banana Yoshimoto im Juli ihren 50. Geburtstag! Vielleicht erwartet uns Leser auch mal die Geschichte einer späten Liebe? Doch, wie ist das eigentlich mit der Liebe? Trägt nicht jeder für immer und ewig dieses Gefühl in sich, nie wirklich erwachsen zu werden? In dem Roman „Geschichte für einen Augenblick“ von Ruth Ozeki fragt das 16jährige Mädchen Nao seine Urgroßmutter Jiko (104 jahre alt), wie alt man werden muss, bis der Verstand wirklich erwachsen ist. Die Antwort der alten Jiko: 105 Jahre! Interessante Antwort. Und möglicherweise ernst gemeint.

Tokio. Der stille und zurückgezogen lebende Nakajima und das offensive Mädchen Chihiro beobachten sich gegenseitig durch die Fensterscheiben ihrer Wohnungen, begegnen sich schließlich und mögen sich auf Anhieb. Zwischen beiden entwickelt sich, zart wie eine Bambussprosse, eine vorerst freundschaftliche Beziehung. Chihiro, die mehr mit dem Körper als mit dem Kopf denkt, bemerkt irgendwann, dass mit Nakajimas Körper irgendwas nicht stimmt. Sein Leben scheint von einem dunklen Geheimnis in seiner Vergangenheit geprägt. Von diesem Gefühl beeinflusst, gelingt es ihm nicht, im Hier und Jetzt wirklich glücklich zu sein. Sie drängt ihn, „zurück“ in seine Kindheit zu gehen, den Knoten zu lösen. Nur so könne es eine Chance für eine gemeinsame Zukunft geben.

Denn längst ist Chihiro wahnsinnig verliebt. Mit Haut und Haar. Statt wie früher Beruhigung zu finden beim Streicheln und Liebkosen ihrer Katze, genügt nun allein die Anwesenheit Nakajimas. Wenn er da ist, hellt sich ihre Stimmung auf, neutralisiert sich das Gift in ihrem Herzen. „Ich fühlte mich, als würde ich in den endlos weiten Himmel schauen oder, im Flugzeug sitzend, über dem leuchtend weißen Wolkenmeer schweben. Es war so schön, dass es schmerzte…“ (S. 151). An der Seite Nakajimas fühlt Chihiro eine bisher ungekannte Verbundenheit mit dem gesamten Universum. Eine Liebe so tief, dass sie erschauert.

Für Nakajima wird dieser Weg in die Vergangenheit sehr schmerzvoll. Er führt zurück an den See. Dort, wo er eine zeitlang als kleiner Junge gelebt hat. Dort am See begegnet er zwei ganz besondere Menschen, die Nakajima helfen können –

Wie schön, dass es die Romane von Banana Yoshmoto gibt! Und wie man das bei ihr kennt und es auch erwartet, verschwimmen auch in „Der See“ die Grenzen zwischen Realität und Imagination auf ganz besondere Weise. Man liest diese 220 Seiten und hat das Gefühl, eine kleine spirituelle Reise gemacht, einen Tempel besucht oder dem Gebet einer buddhistischen Nonne gelauscht zu haben. Erfüllt von Ruhe und tiefen Glück.

Und falls Ihr Euch auch immer schon gefragt habt, wie eine Japanerin zu dem Namen Banana kommt: Inspiriert von der bezaubernden Blüte der Red Banana Flower soll sie ihren wirklichen Namen Mahoko Yoshimoto getauscht haben gegen den Künstlernamen Banana Yoshimoto.

red banana flower

Weitere Beiträge zum Roman „Der See“ – außergewöhnlich gestaltet und absolut lesenswert – findet Ihr bei der Klappentexterin und bei deepread.

Banana Yoshimoto. Der See. Diogenes Verlag. Zürich 2014. 220 Seiten

 

Anthony McCarten. Funny girl. Aus dem Englischen von Manfred Allié

Funny girlLondon heute: Das Mädchen Azime hat bereits mehr als zehn Verabredungen um den perfekten Ehemann zu finden, scheitern lassen. Erfolgreich scheitern lassen!

Obwohl liberal muslimisch, sind ihre Eltern sehr traditionell und so kommt es, dass ihre Mutter gemeinsam mit einem kurdischen Eheberater regelmäßig diese Treffen arrangiert. Azime gilt als schwer vermittelbar. Sie ist bereits 20 Jahre alt und noch dazu klug. Sie liest Bücher! Welcher Mann will eine solche Ehefrau?! Weil alle Treffen scheitern, glaubt die Mutter bereits, Azime hätte den bösen Blick – doch ihre Tochter ist einfach eine super gute Komikerin! Mit diversen gespielten Ticks (Schielen, unkontrolliertes Zucken der linken Schulter, heftige Reaktionen wegen einer angeblichen Nussallergie …) schockt Azime die älteren kurdischen Herren (meist in Joppe, mit Schnauzbart und jenseits der 40 Jahre). Manche verlassen daraufhin höflich, andere aber fluchtartig die Teestube. Schon hier wird klar, was für eine außergewöhnliche Heldin Azime ist.

Azime will nämlich überhaupt nicht heiraten! Im Gegenteil, sie will selbstbestimmt leben, sie will sich verlieben und sie hat einen Traum: Sie will die erste weibliche muslimische Stand-up-Comedian der Welt werden. Um dafür zu trainieren, besucht sie in London eine Comedian-School. Komisch sein ist nämlich gar nicht so einfach. Im Gegenteil: „wenn eine komische Nummer nicht funktionierte, dann war das grässlich, trauriger als jede Tragödie“ (S. 48). Für ihre Gags beobachtet sie genau ihre Familie und ihre Umgebung. Und schockt mit ihrem Auftritt, für den sie sich eine schwarze Burka kauft (eigentlich wollte sie nur mal testen, wie sich das so anfühlt…). Das Publikum hält den Atem an. Azime erhält Morddrohungen auf Facebook und youtube.

Schon im „Englischen Harem“ hatte McCarten eine mutiges junges Mädchen als Hauptfigur gewählt, welches im Ringen um Selbstbestimmung das Risiko eingeht, das Vertrauen und die Liebe seiner Familie zu verlieren. Die Konflikte, welche McCarten in seinen Romanen beschreibt, sind typisch für jede Familie. Das Besondere bei ihm ist aber, dass er die Möglichkeit der Versöhnung zulässt. Ganz besonders die Versöhnung unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Traditionen. Das ist aufwühlend und motivierend gleichzeitig. Denn bei McCarten gibt es keine Trennung von Gut und Böse. Menschen haben die verschiedensten Anschauungen und Lebensweisen – das ist einfach so. Mit diesem Wissen habe ich nun „funny girl“ gelesen und wurde wieder einmal belohnt!

Großartige Story! Man erhält tatsächlich Einblicke in den Alltag einer Comedian-School (obwohl mich manche Monologe der Comedians und die Diskussionen darüber ermüdet haben). Und man wird daran erinnert, wie wichtig in unserem Leben das Lachen ist. Dass es viele Dinge erleichtert und dass es glücklich macht.

Für Azime als Mädchen ist es nicht einfach, den gewählten Weg zu gehen. Doch sie kämpft für ihre Ideale. Als die Situation sich zuspitzt und Azime vor der Wahl steht, sich zu fügen oder weiterhin zu rebellieren, da wählt sie Widerstand. Gegen alles und gegen jeden. Am Ende erleben wir sie stärker, selbstsicherer. Aber auch versöhnter. Mit sich und ihrer Familie.

Anthony McCarten. funny girl. Diogens Verlag 2014.