Olga Grjasnowa, 1984 in Baku (Aserbaidschan) geboren, hat mich bereits mit ihrem Debüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ fasziniert. Schnell war mir klar, dass ich einer aufregend neuen Stimme lausche. Einer Stimme, die packend und authentisch erzählt.
Ihr neuer Roman ist wild, verrückt und wieder völlig gegen den Mainstream erzählt. Wieder träumen ihre Figuren von der unmöglichen Liebe, bringt jede Verliebtheit neue Enttäuschung. Die Story packt mich, rüttelt mich komplett durch und entlässt mich am Ende mit einem winzigen Schimmer der Hoffnung. Wofür ich Olga Grjasnowa zutiefst danke, habe ich doch Leyla und Altay in mein Herz geschlossen (manchmal braucht auch eine abgebrühte Leserin ein bißchen Hoffnung!). Mein innigster Wunsch war, sie nicht so enden zu sehen, wie das Mädchen Mascha aus dem ersten Roman: im Ungewissen in der Wüste Israels oder möglicherweise sogar tot.
Denn dramatisch enden könnte es auch für Leyla und Altay, die als offiziell verheiratetes Paar ihre Homosexualität voll ausleben. Was in Berlin kein Problem, aber in Ländern wie Georgien, Aserbaidschan und Russland strafbar ist und für krank erklärt wird.
Beide hatten sich in Baku kennengelernt, als die verzweifelten Eltern von Altay ein Mädchen zum Verheiraten für ihren Sohn suchen. Ahnungslos stellen sie ihm Leyla vor, die sich zu Mädchen mehr hingezogen fühlt, als zu Männern. Später im Restaurant erkennt Leyla, dass sie ihn als Frau ebenfalls nicht interessiert und sein Blick immer wieder zum Hintern des süßen Kellners abschweift. Leyla und Altay heiraten und gehen später nach Berlin. Seine Arbeit in der Notaufnahme eines Moskauer Krankenhauses hatten Altay zu sehr zermürbt. Ihm wird dort offen gezeigt, dass er unpassend ist: Aserbaidshaner und schwul. Die Zeiten der Völkerfreundschaft und der Sowjetunion sind lange vorbei und in Russland war für ihn lange kein Platz mehr. Doch Berlin ist wunderbar – hier kann man homosexuell und Mensch sein! Alle kommen nach Berlin in die Stadt des Exils. Hier findet Altay schließlich Arbeit auf einer Suchtstation im Wedding. Altay mag den Wedding. Wedding fühlt sich an wie ein Moskauer Basar.
„Juristisch unscharf“ – das ist diese verrückte Ehe. Abenteuerlich und rücksichtslos. Manchmal schwer nachzuvollziehen. Dann beispielweise, als sich Leyla dem Mädchen Jonoun mit fiebrigem Begehren nähert. Jonoun mit dem bernsteinfarbenen Haar und den grünen sanften Augen, Kellnerin in einer Bar in Kreuzberg.
Doch die Story beginnt und endet in Baku, Hauptstadt von Aserbaidschan, auch das „Dubai“ am Kaspischen Meer genannt. Korruption und gnadenlose Ausbeutung bestimmen den Alltag. Eine Maßlosigkeit der wenigen Reichen konkurriert mit der grenzenlosen Armut der vielen Menschen mit aussichtsloser Zukunft. Olga Grjasnowa beschreibt mit scharfem und kritischem Blick die Zustände in diesen Ländern, schweift aber immer wieder auch über üppige Pinienwälder, grün wuchernde Obsthaine und geradezu biblische Landschaften. Orientalisches Feeling zwischen Iran, Georgien, Armenien, Russland und Kaspischem Meer. Sie nimmt mich mit in Gegenden, wo das Navy schweigt und eine sowjetische Landkarte zur Wegebeschreibung dient. Entführt mich zu einem Roadmovie der ganz besonderen Art.
Was mich zusätzlich stark begeistert, das ist das von Peter-Andreas Hassiepen gestaltete Cover – inspiriert von einem Motiv aus dem Künstlerbuch „Codex Seraphinianus“ von Luigi Serafini. In diesem Buch enthalten sind unzählige wild verrückte Kreaturen, inspiriert aus Flora und Fauna, aus der Welt der Physik und der Maschinen.
Olga Grjasnowa. Die juristische Unschärfe einer Ehe. Carl Hanser Verlag München 2014. 265 S. 19,90 €