Archiv der Kategorie: Rezensionen Sommer 2013

Yoko Ogawa. Schwimmen mit Elefanten. Aus dem Japanischen von Sabine Mangold

Ogawa_SchwimmenMitElefantenAm Anfang des Romans hat er noch keinen Namen, er ist einfach nur „der Junge“. Schon in früher Kindheit entwickelt er eine Leidenschaft für Schach und beschließt mit elf Jahren, nicht mehr zu wachsen. Ausgelöst durch zwei Geschehnisse in seiner Kindheit, ist er besessen von der Tragödie um das Größerwerden. Allein der Gedanke daran, zieht ihn in einen Sumpf aus Angst.

Da ist außerdem Indira, das Elefantenmädchen. Einst als Baby und zu Zwecken der Attraktion auf das Dach eines Kaufhauses transportiert, sollte Indira irgendwann für immer in den Zoo. Mittlerweile war Indira aber zu groß für den Fahrstuhl und musste bis ans Ende ihrer Tage auf dem Dach des Kaufhauses leben. Vier Kuhlen im Betonboden und eine Fußfessel zeugen von ihrem tristen Leben.

Für den Jungen eine traumatische Kindheitserfahrung.

Und dann ist da noch der dicke Mann. Leidenschaftlicher Schachspieler, lebt in einem ausrangierten Bus. Von ihm lernt der Junge die Eleganz und Raffinesse des Schachs. Der dicke Mann lehrt ihn, dass es mehr darum geht, die Schönheit des Spiels zu genießen, als den König des Gegners in die Enge zu treiben. Zeit seines Lebens wird ihn der Spruch seines Meisters, „Nicht so hastig, mein Junge“ begleiten –                                                                                                                                        Doch sein Meister, der auch eine Leidenschaft für Süßes und Kuchen aller Art hat, wird dicker und dicker. Kaum verlässt er noch seinen Bus, in welchem er mit seinem Kater Pawn lebt.

Interessant an dem Roman finde ich, dass ein zweites Tier auftaucht, welches einen Namen trägt. Der Meister und der Junge bleiben namenlos. Passenderweise ist Pawn schwarz-weiß gefleckt wie der Tisch daneben mit den schwarz-weißen Quadraten. Beide bilden eine harmonische und untrennbare Einheit. Jahrelang verbindet die drei eine tiefe Freundschaft.

Ein tragisches Ereignis jedoch wird die Angst des Jungen, groß zu werden, verstärken. Ein Ereignis, an welches er sich sein ganzes Leben erinnern wird.

Er wird andere Orte erleben, an denen er aber eines immer und immer wieder tut: Schachspielen. Mittlerweile ist er berühmt als der kleine Aljechin (inspiriert von Alexander Aljechin, dem berühmten französisch-russischen Schachspieler) und tritt, versteckt in einem Schachautomaten, gegen die unterschiedlichsten Gegner an. Und dann ist da auch noch das Mädchen Miira…                                      Ein melancholisches, zartes Mädchen, das die Notationen zu jedem Spiel des kleinen Aljechin aufschreibt.                                                                                                    Der Junge ist ein stiller Liebender und so sind es oft nur ganz versteckte, aber umso tiefer berührende Momente, in denen seine tiefe Liebe zu Miira zum Ausdruck kommt. Etwa, wenn er sie unter vielen anderen weiß Gekleideten zu finden hofft und sie schließlich erkennt an dem unverwechselbaren Schatten ihrer traurig gesenkten Wimpern (S.196).

So ist „Schwimmen mit Elefanten“ nicht nur Schach- sondern auch wunderschöner Liebesroman. Wie in den Romanen von Haruki Murakami begegnen einem beim Lesen skurrile Charaktere in außergewöhnlichen Situationen. Traum und Realität vermischen sich leise und elegant miteinander.  Bin fasziniert, tief berührt und sehr begeistert.                                                               Eine außergewöhnliche Geschichte über einen ganz besonderen Jungen.

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Andreas Eschbach. Todesengel

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„Wir Menschen sind sensibler, als die meisten von uns ahnen. Hätten wir keinen Filter im Hirn, die Flut der Sinneseindrücke würde uns überwältigen. Man kann diesen Filter ausschalten. Ich kann es.“

Der so denkt, streift nachts durch die Straßen der Großstadt, als bewege er sich durch einen „ungeheuren, lebendigen Organismus“. Er ist auf dem Pfad des Kriegers und er hat Geduld. Im richtigen Moment erreicht er den Abgang einer Metro-Station. Schmerz flammt heraus wie ein Fanal. Todesangst. Er wird im entscheidenden Moment erscheinen, das Richtige tun. Jetzt!

Erich Sassbeck wartet auf seine U-Bahn. In seinem Kopf geistert noch die Diskussion mit seiner Tochter über Zivilcourage herum, als er sieht, wie zwei Jugendliche eine Bank demolieren. Sassbeck will endlich mal Zivilcourage zeigen, es seiner Tochter Evelyn beweisen. Er geht auf die Jungs zu, die schwer unter Alkohol stehen, spricht sie an. Sie schlagen zu. Immer und immer wieder, bis Sassbeck am Boden liegt.

Eine Zeugin wird später aussagen, dass im richtigen Moment ein Engel erschienen sei, um Sassbeck zu rächen. Ein Engel, strahlend weiß und lautlos. Auch Sassbeck berichtet von dem leuchtenden Engel mit dem gnadenlosen Blick. Mit erhobenen Armen und in jeder Hand eine Makarow.

Ingo Praise, 28 Jahre, glaubt nicht mehr an den Job seines Lebens. Als freier Journalist muss er froh über jeden Auftrag sein. Dann der Fall mit dem Todesengel. Selbstjustiz!! Vorbei die Zeit der Resignation.                                       Ingo bekommt über die Reportage eine eigene Fernsehshow, ist jetzt Moderator. Doch das Gefühl, selbst über die Inhalte der Show bestimmen zu können, verliert sich mehr und mehr.                                                                                                     Die Medien stürzen sich auf Sassbecks Rolle in der Zeit als Grenzer in der DDR. Irgendwann befindet Ingo Praise sich auf einer gefährlichen Gratwanderung. Wer ist eigentlich Opfer und wer Täter von Gewalttaten? Hat er noch die Kontrolle über seine Sendung?

Die Story bekommt dann immer mehr Tiefe. Überhaupt nicht klar ist, wer sich hinter dem Todesengel verbirgt. Und um vorab keine Spannung weg zu nehmen, soll das soweit genügen.                                                                                                    „Todesengel“ ist eine sehr komplexe Story, die viele Fragen aufwirft. Allen voran die Frage, wie berechtigt Selbstjustiz ist. Es geht um Zivilcourage, Mut und Selbstvertrauen. Um Kampfsport außerdem und um die Macht der Medien.

Wieder ein ganz anderer Eschbach als alle vorherigen. Aber das macht das Lesen seiner Thriller auch so wertvoll. Es gibt kein Schema, keinen roten Faden. Und das Ende kommt dann garantiert total überraschend. Man kann diesen Roman übrigens auch wunderbar hören. Gelesen von Matthias Koeberlin, ist dieses Hörbuch ein ganz besonderer Genuss.

Sven Regener. Magical Mystery. Das Hörbuch. Gelesen von ihm selbst

3344356-xRaimund und Ferdi, die alten Kumpel aus Berlin, suchen einen Fahrer. Die Berliner Mauer ist weg, es sind die 90er Jahre und die beiden haben in Berlin ein Plattenlabel gegründet, nun wollen sie mit Hosti-Bros und Kratzbombe zehn Tage durch Deutschland touren. Fehlt nur noch der Fahrer –        In einer zufälligen Begegnung, die an Komik kaum zu überbieten ist, trifft Raimund in Hamburg Altona Karl Schmidt, clean seit fünf Jahren. Karl hat sich gerade einen Eisbecher Monteverdi (ohne Eierlikör, ohne Maraschino-Kirsche!!!!! ) bestellt, trinkt Unmengen Kaffee und raucht wie verrückt…

Raimund erzählt von Berlin und Hosti-Bros und erst Tage später, Karl Schmidt ruft auf dem „arschteuren Funkding“ in Berlin an, versteht er endlich, worum es geht. Raimund: „Wir brauchen einen, der sich um alles kümmert, der uns fährt, auf das Geld aufpasst und auf uns…“ Und als Charlie fragt, warum er, antwortet Raimund: „Das war Ferdis Idee, weil du nichts nehmen darfst. Ich hab ihm erzählt, dass du nichts nehmen darfst. Du darfst doch nichts nehmen, das hab ich doch richtig verstanden, oder?“

Charlie also ist der ideale Mann, er bekommt 4.000,- DM auf die Kralle und als er endlich Othmarschen und all die Leute von Clean Cut 1 verlässt und im Zug sitzt, da bekommt er nach all dem Zögern doch ein gutes Gefühl. Jetzt geht’s los. Diese Zugfahrt über Nauen nach Berlin mit den Augen von Karl Schmidt hat ebenfalls unglaublich viel Humor. Er, der nur das geteilte Berlin kennt, staunt, wie diese Stadt sich jetzt anfühlt. Bahnhof Zoo, Friedrichstraße und schließlich….                                                                                                                                      ….das Wiedersehen am Hackeschen Markt. Man ist nun mittendrin mit Karl Schmidt und seinen Leuten. Wie offen und verrückt und neu ist dieses Berlin der 90er Jahre, wo man die ersten Asiasuppen löffelt „mit extra scharfem Zeug zum Reinmachen“ und obwohl „diese Suppen ja sowas für den hohlen Zahn sind“.    Wo man noch überall rauchen darf und alles so elektrisierend ist. Techno. Rave. Partys bis in den Morgen.                                                                                                         Und dann die Tour, die vollen Säle. Charlie muss schließlich auch mal an die Plattenteller, weil Basti von Hosti-Bros einfach schlapp macht. Keiner der tanzenden Raver merkt das. Und für Karl Schmidt ist es DAS Abenteuer. Und wie er wieder und wieder den Drogen und dem Bier widersteht!!

Ein wirklich großer Spaß!!! Ein ganz besonderer Genuß allerdings ist es, sich das Hörbuch zu gönnen. Sven Regener liest ungekürzt und mit seiner ganz einzigartigen Stimme, seinem leicht nördlichen Dialekt. Meine Empfehlung: Jeden Morgen nur einTrack hören und man geht garantiert gut gelaunt in den Tag.