Jan Costin Wagner, geboren 1972, ist nicht nur Autor großartiger literarischer Kriminalromane, sondern außerdem Songwriter und Musiker. Und so fühlt sich eine Lesung mit ihm schon mal an, wie ein kleines Event, womit er einen total verzaubert. Da sitzt er – still und so symphatisch – während er im Wechsel liest oder leise Musik spielt. Am Klavier. Literatur und Musik ergänzen sich bei Jan Costin Wagner in vollkommenster Weise.
Und darum sitze ich jetzt hier, höre seine CD „behind the lines“ und erinnere mich an die letzten Stunden mit Kimmo und „Tage des letzten Schnees“. Passenderweise habe ich das Buch am Wochenende in einem alten Haus in der Altmark gelesen. Draußen fiel in dicken Flocken der Schnee, die Landschaft war im Frost erstarrt. Fenster vom Fussboden bis zur Decke schenkten mir eine Aussicht in den verschneiten Garten, die sich vom Cover des Romans kaum unterscheidet. Die Stimmung war schon fast magisch! Es hätte Turku sein können. Denn Ort der Handlung in diesem, dem 5. Fall mit Kimmo Joenta, ist wieder Finnland. Es ist der erste Tag im Mai:
„Am ersten Mai fiel der letzte Schnee. Das hatte der Wetterbericht so vorhergesagt und so war es gekommen. Lasse Ekholm steuerte den Wagen vom Parkplatz auf die Straße und betrachtete den Himmel, aus dem die dicken weißen Flocken fielen, die in diesem Monat nichts verloren hatten. Er dachte darüber nach, dass im Zusammentreffen des ersten Tages mit dem letzten Schnee eine Symmetrie verborgen lag. Eine Symmetrie, die schlüssig und schön war, weil sie auf asymmetrischen Komponenten beruhte. Das Erste und das Letzte, Anfang und Ende, verschmolzen zu einer Einheit …“ (S. 9)
Lasse, der gerade seine kleine Tochter Anna vom Eishockey abholt, ahnt noch nicht, dass dies der schrecklichste Tag seines Lebens sein wird. Nichts wird mehr sein wie bisher.Wie lebt man weiter mit einem Unfall, an dessen Ausgang man nicht ganz unschuldig war?
Parallel zu der Story um Anna und Lasse Ekholm laufen weitere Handlungen, die zu einem grandiosen und abslout schlüssigen Finale zusammen laufen. Immer wieder wechseln Orte und Erzählperspektiven. Den Faden der Handlung verliert man dennoch nie. So wird die Geschichte um Kimmo und seine scheue Geliebte, die sich Larissa nennt, weiter erzählt. Kimmo, der vor vielen Jahren seine Frau Sanna verloren hat, öffnet ihr ganz langsam sein Herz. Ein finnischer Fondsmanager verliebt sich in Ostende (Belgien) in eine ungarische Prostituierte. Ein einsamer junger Mann bewegt sich fast ausschließlich in Chatrooms und plant einen Amoklauf. Allen Figuren gemeinsam ist eine gewisse Einsamkeit und ein Leben als Außenseiter. Es gibt weder ausgelassen fröhliche Familien noch glücklich funktionierende Beziehungen. Als hätte sich über alle Menschen diese winterliche Stimmung gelegt. Wenn der Roman im September endet, fällt bereits der erste frühe Schnee.
Wer zum ersten mal Jan Costin Wagner liest, wird sich schnell in die Melancholie und den lyrischen Rhythmus seiner Sprache verlieben. Man darf keinen klassisch skandinavischen Krimi erwarten. Eher beschreibt Wagner, wie kleine Tragödien das Leben dramatisch verändern können. Ein unachtsamer Moment. Eine Eifersuchtszene, die anders verläuft, als geplant. Eben schwebte alles noch im schönsten Gleichgewicht, um im nächsten Moment außer Kontrolle zu geraten. Und dann ist es eben die besondere Stimmung, die ich so noch bei keinem Autor gefunden habe. Seit „Eismond“ folge ich Kimmo Joenta. Leide mit ihm, freue mich mit ihm, als sei er ein guter alter Freund. Der Roman endet mit einer großen Veränderung in seinem Leben, warum ich es jetzt kaum aushalten kann, wie es mit ihm weiter geht.
Jan Costin Wagner. Tage des letzten Schnees. Galiani Berlin 2014
Hier kann man in drei der Songs von „behind the lines“ reinhören:
http://www.jan-costin-wagner.de/60.html
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