Banana Yoshimoto. Moshi, Moshi

Yoshimoto_moshiVerliert man als Teenager seinen Vater, so  ist das verdammt hart. Geschieht dies auch noch unvorbereitet und es bleibt nicht einmal Zeit, um Abschied zu nehmen, kann einen das total aus der Bahn katapultieren. Yutchan ist etwa zwanzigjährig, als ihr Vater Selbstmord begeht. Sie hat ihn sehr geliebt. Als kleines Mädchen hatte Yutchan ihn oft begleitet nach Thailand, Shanghai und New York. Er war Keyborder in einer populären japanischen Rockband. War er nicht auf Reisen, kehrte er oft erst mitternachts heim und im Haus lief Musik. Freunde waren da und bis in den Morgen hinein lauschte die kleine Yutchan den leise gespielten Jamsessions.

Der Schock ist groß, die Trauer tief. Yutchan verlässt die elterliche Wohnung, um in den berühmten Tokioter Szenebezirk Shimokitazawa zu ziehen. Sie mietet eine winzige Wohnung und arbeitet als Kellnerin in dem kleinen Bistro „Les Liens“. Im Frühling ist der Zierkirschbaum vor dem Bistro umhüllt von einem blassrosa Blütenmeer. Yutchan liebt ihr neues Leben, fühlt sich wohl im charmant chaotischen Shimokitazawa. Das Bild in den Strassen wird bestimmt von kleinen schicken Cafés, Buchläden, Secondhandshops und Blumenverkäufern an der Ecke. Es ist wie ein eigener kleiner Kosmos, in welchem die Menschen nicht der neuesten Mode folgen, sondern auf ihre Weise leben. Abends speisen sie entspannt im japanischen Nudelrestaurant, beim Thailänder oder in der Pizzeria La Verde. Ein bißchen wie der Bergmannkiez hier in Berlin Kreuzberg, denke ich, und lasse mich treiben von dem Lebensgefühl der Menschen dieses Viertels:

Auf den ersten Blick sah man nur ein befremdliches Gewimmel, doch schon bald ergab sich daraus ein herrliches Muster, ein unsagbar schönes Bild (S. 291).

Eines Tages steht Yutchans Mutter vor der Tür. Auch sie drückt die Last des unerwarteten Todes ihres Mannes und so rücken die beiden Frauen in der ohnehin kleinen Wohnung zusammen. Das ist für beide nicht leicht, führt zu Reibungen und Diskussionen, in denen beide offen und ehrlich miteinander umgehen. Eine berührende Mutter-Tochter-Geschichte entwickelt sich. Glücklicherweise aber hat Shimokita – wie es die Tokioter liebevoll nennen – nicht nur eine inspirierende, sondern auch eine heilende Wirkung. Weil man beim Stöbern nach einem guten Roman mit dem netten Buchhändler ins Gespräch kommt, weil man im Café schnell als Stammgast begrüßt wird. Alles ist geprägt von Harmonie und Entspannung. Da ist dieses alte Ehepaar, das mit würdevoller Gelassenheit Tee reicht. Den Geschmack des Tees wird Yutchan nie vergessen: In ihm schmeckte ich eine Güte, die den Menschen bedingungslos so akzeptiert, wie er ist, ohne etwas zurückzuverlangen (S. 263).

Banana Yoshimoto hat einen sehr melancholischen Roman geschrieben. Der aber auch von Neustart und Neubeginn erzählt. Yutchan arbeitet tapfer an sich, um den Tod des Vaters zu verschmerzen. Oft träumt sie von ihm und seinem vergessenen Handy, führt imaginäre Telefongespräche. Ihr einsames „Moshi, Moshi“ (jap. Hallo, Hallo) klingt noch lange in mir nach.

Ebenso fasziniert vom Roman ist Karo von deep read. In ihrer Rezension spüre ich noch einmal die ganz besondere Atmosphäre von „Moshi, Moshi“.

Banana Yoshimoto. Moshi, Moshi. Diogenes Verlag Zürich 2015. Aus dem Japanischen von Matthias Pfeifer. 293 Seiten. 21,90 €

19 Antworten zu “Banana Yoshimoto. Moshi, Moshi

  1. Du jetzt auch, Masuko-san. Und auch so begeistert? Dann muss ich wohl morgen sofort los und es mir auch holen!

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    • Ja, aber es ist eher eine stille Begeisterung, denn das Buch fließt wie ein ruhiger Fluss. Wenn du japanische Autoren und überhaupt japanische Lebensart magst … dann könnte es dir gefallen. Und Shimokita könnte auch für dich zu einem neuen Sehnsuchtsort werden.

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      • Du weisst doch, dass ich das Japanische grundsätzlich mag. Allerdings bin ich bisher auch nur sehr einseitig von einem Autoren da herangeführt worden. Eine andere Autorensicht und vor allem mal der Blick einer Frau würde mich schon sehr interessieren.
        Herzlich: Tobias

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      • Klar, weiß ich doch … du magst Murakami. Yoshimoto schreibt ähnlich. Du könntest auch mit „Kitchen“ starten. Drei Erzählungen, mit denen sie damals bekannt wurde. Schöne Grüße

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  2. „In ihm schmeckte ich eine Güte, die den Menschen bedingungslos so akzeptiert, wie er ist, ohne etwas zurückzuverlangen (S. 263)“ deine besprechung ist schön und macht neugierig. LG Xeniana

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  3. Pingback: Bücher die ich noch lesen möchte « Familienbande

  4. und wieder ein Buch von Banana Yoshimoto, eine meiner Lieblingsautorinnen. Soeben bestellt, werde ich es über Ostern lesen, dann schreibe ich vielleicht kurz etwas dazu.
    Übrigens, zum Thema T.C.Boyle melde ich mich auch noch, da habe ich eines meiner Bücher durch.Lohnenswert!

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    • Das wird sicher ein schönes Ostern mit Banana. Vielleicht solltest du dir sogar einen Besuch in einem japanischen Lokal gönnen. Yutchan und ihre Mutter finden im Essen ebenso ihr Glück, wie beim Reden. Man bekommt Lust auf Kimchi, Grüne Algen und Nudelsuppe 🙂
      Schöne Feiertage und bitte sag noch was zu T.C.Boyle. Danke!

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  5. tja, mein Favorit japanischer Lokale hat gerade für immer geschlossen. Ich werde mir wohl was anderes suchen, aber es gibt ja einige Kandidaten.

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  6. Ich finde es interessant, dass in diesem Buch eine Mutter-Tochter-Geschichte so im Vordergrund steht. Ich habe bisher tatsächlich nur japanische Bücher gelesen, in denen die Protagonisten – wenn es denn mehrere gab – sehr mit sich selbst beschäftigt waren und ihr Denken und Fühlen nur in ihren Gedanken und weniger im Gespräch mit anderen entwickelt und dem Leser zugänglich gemacht haben. Das ist mir besonders bei Kenzaburo Oe aufgefallen (https://wissenstagebuch.wordpress.com/2015/04/02/kenzaburo-oe-eine-personliche-erfahrung/). Deshalb setze ich „Moshi, Moshi“ sofort auf meine Wunschliste.

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    • Ja, das ist wirklich beeindruckend. Die 20jährige Yutchan ist anfangs überfordert von der Situation. Doch sie bleibt gelassen und ohne tief in der Vergangenheit zu bohren, sucht sie beständig nach Antworten, auch wenn diese schmerzen. Schön, dass ich dich neugierig machen konnte auf Yoshimotos Roman 🙂

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  7. Liebe Masuko,
    habe bereits „Amrita“ und der „Der See“ gelesen, die mir beide sehr gut gefallen haben. Ich denke, auch dieses hier werde ich gerne lesen, denn es ist bereits bestellt. Übrigens kommst Du auf dem Video sehr sympathisch rüber und machst richtig Lust auf das Buch.
    LG
    lesesilly

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    • Ganz lieben Dank. Es hat auch viel Spaß gemacht, das Video zu drehen.
      Ich freue mich über deine Feedbacks immer sehr, liebe leselilly. Wenn dir diese beiden Bücher von Yoshimoto gefallen haben, dann bin ich sicher, dass „Moshi, Moshi“ dein Herz ebenso berühren wird.
      Liebe Grüße, masuko

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  8. Pingback: Der tiefe Frieden aus den Worten von Banana Yoshimoto. | Klappentexterin

  9. Ein sehr schönes Buch.
    Ich möchte auch in Tokio in so einem ganz kleinen Restaurant sitzen, grünen Tee trinken und auf das Stadtleben auf der Straße gucken. Es sind die Bilder im Kopf, mit denen ich Banana Yoshimotos Bücher verbinde, mit dieser Beschreibung des Lebens in Japan.
    Wenn man den Tod eines sehr wichtigen Menschen zu verkraften hat, dann ist das sehr schwer, um so schwerer ist es, wenn man keine Antwort bekommt auf das Warum dieses Todes. Im Gegensatz zu diesem schweren, traurigen Thema steht die Erzählweise. Man kann das Buch lesen, ohne selbst melancholisch zu werden.
    Yotchan ist eine junge Frau, die sich nach dem Tod des Vaters nicht vergräbt, sich aber auch nicht wild ins Leben stürzt zur Ablenkung. Ich hatte beim Lesen so einige Male den Wunsch, in dieses kleine Restaurant zu gehen und irgendwas zu essen, in der Hoffnung, daß sie bedient und man mit ihr reden kann. Es ist diese Atmosphäre des Lebens in Tokio, die immer wieder in ihren Büchern auftaucht, und die ohne jedes Pathos so daherkommt, als säße man irgendwo in Tokio und könnte ihr zusehen.
    Zu guter letzt habe ich die Hoffnung, daß noch oft Bücher von ihr in die deutschen Buchläden finden.

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    • Ich finde das schön, diese Phantasie von dir, in das kleine Restaurant in Shimokita zu gehen, um Yotchan zu treffen! Wenn ein Roman solche Dinge mit uns anstellt, dass wir die Figuren der Geschichte gern treffen möchten, dann hat die Autorin wohl alles richtig gemacht 🙂
      Und – genau wie du – hoffe ich ebenfalls auf viele Romane von ihr!

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  10. Banana Yoshimoto ist am 15.9.2015 beim ilb. um 18 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, große Bühne. Aber wahrscheinlich weißt du dies alles schon. Ich freue mich sehr darauf sie einmal zu sehen.

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