T.C. Boyle. Der Samurai von Savannah

boyle_samurai_von_savannahRomane von T.C. Boyle mit Happy End? Sollte man besser nicht erwarten. Gibt es denn im echten Leben ein Happy End? Okay, manchmal vielleicht … Nicht jedoch bei Boyle. Skurril, witzig, böse und verrückt sind seine Geschichten. Und das trifft ganz besonders auf den Samurai von Savannah zu.

Boyle erzählt hier die Geschichte des 20jährigen Matrosen Hiro Tanaka aus Japan, der in die USA will. Grund dafür sind die fiesen Attacken, die er wegen seines Aussehens aushalten muss (sein Vater ein amerikanischer Hippie, den Hiro nie kennen gelernt hat). Langnase, Butterstinker, Halbblut, ein happa – das ist er für die anderen. „Doch die Amerikaner, das wußte er, waren ein Volk aus vielen Rassen … In Amerika konnte man ein Teil Neger, zwei Teile Serbokroate und drei Teile Eskimo sein und dennoch erhobenen Hauptes durch die Straßen gehen … Aber in Japan war er aus der Schule geflogen – er galt weniger als die burakumin, die Ureinwohner, die den Abfall einsammelten, weniger als die Koreaner, die man im Krieg als Sklaven hergebracht hatte.“ (S. 26)

Sein Traum ist ein ganz banaler. Er will einen Job, ein Appartement mit flauschigen Teppichen. Er will Minigolf spielen, Cheeseburger essen und mit einer großen Einkaufstüte im Arm die Straße entlangschlendern. Ich liebe Boyle für solche Bilder – sie sind DAS Klischee von Amerika. Und lassen Hiros Traum noch absurder wirken. Denn nach einer dramatischen Flucht landet er verdreckt und mit nichts (außer seinem Pass, ein paar Dollars und einem Buch) auf einer sumpfigen, wilden Insel vor der Küste von Savannah. Hier auf Tupelo Island ist Hiro ein Geächteter, ein Schlitzauge, ein Japse. Lediglich die junge Dichterin Ruth Dershowitz hat ein Herz für Hiro Tanaka, gibt ihm heimlich zu essen wie einem streunenden Kater. Und ihre Schreibblockade löst sich ebenfalls in Luft auf. Wild klappert sie in ihrem kleinen Studio auf der Olivetti, schreibt weiter an ihrer Novelle über eine japanische Familie in Amerika. Die Inspiration findet sie in Hiro Tanaka. Wie lange kann sie dieses Geheimnis hüten?

Denn da ist die wilde Meute der Inselbewohner, welche in dem Japaner einen gefährlichen Mörder sieht, den man jagen und töten muss. Plötzlich sind alle vereint in ihrem Hass – Südstaatler und Neger (ja, Boyle übernimmt hier den Jargon der Insel). Ihnen gegenüber steht Hiro, der einfach nur seinen Traum leben will. Trost und Hoffnung findet er in dem Buch Der Weg des Samurai. Vor der Flucht aus dem Gefängnis beispielsweise gibt er sich sieben Atemzüge, bis er eine Entscheidung trifft – denn so steht es bei Jocho geschrieben. Voller Mut tritt er seinen Verfolgern entgegen, denn der Weg eines Samurai ist der Weg durch den Tod; einen Mann mit starkem Willen können mitunter zehn Männer nicht überwältigen. 

Der Kreis schließt sich, wenn ich mir nach dem Ende dieses großartigen Romans das Zitat durchlese, welches Boyle dem Text voranstellt: „Wer sich entscheidet, fürchterlich zu leben und fürchterlich zu sterben, der hat ein schönes Leben gewählt.“ Yukio Mishima: Der Weg des Samurai

Warum mich Boyle so fasziniert? Weil er irre Naturszenen beschreibt, dort in der schwülen, dunstigen Wärme und der üppigen Vegetation von Georgia. Weil er so komplett in seine Figuren hineinschlüpft. Und weil er ihre Schwächen und Stärken bis auf das kleinste Detail zu kennen scheint. Bei ihm gibt es kein schlichtes Gut oder Böse, er beschreibt, was geschieht. Egal, ob es das Gehabe und das Posieren all der Dichter beim abendlichen Cocktail ist, ob es Hiros japanischer Blick auf das verschwenderische Leben der Amerikaner ist oder die absurde Menschenjagd auf ihn.

Die Ideen für seine Romane findet Boyle häufig in den Medien. Oftmals inspiriert ihn lediglich eine kleine Notiz in der Zeitung oder im Fernsehen und schon wird daraus wildeste Phantasie à la Boyle. Gerade ist bei Hanser Literaturverlage der Roman Hart auf Hart auf Deutsch erschienen. Und T.C. Boyle schreibt bereits an seiner nächsten Story, die dann hoffentlich im Frühling 2016 erscheinen wird.

T.C. Boyle. Der Weg des Samurai. Deutsch von Werner Richter. Hanser Literaturverlage München 1992 / dtv München 1995. 467 Seiten. 9,90 €

12 Antworten zu “T.C. Boyle. Der Samurai von Savannah

  1. Liebe Masuko,
    ich habe bisher nur Talk, Talk von Boyle gelesen, doch schon oft gedacht, ich sollte mehr von ihm lesen. Als sein Meisterwerk wird mir immer Wassermusik ans Herz gelegt, aber auch sein neuestes Buch soll ja grandios sein. Nach Deiner ansprechenden Rezension bin ich mir nun sicher, dass eines meiner nächsten Bücher ein T.C. Boyle sein wird.
    Ich wünsche Dir eine schöne Woche.
    LG
    lesesilly

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    • Liebe Leselilly,
      „Talk Talk“ habe ich auch sehr gemocht. Hach, am liebsten möchte ich mit einem Koffer, voll mit seinen Romanen, auf eine Insel verschwinden und alles nochmal lesen. Auch „Riven Rock“ ist so verrückt und schön. Oder „Willkommen in Wellville“! Bin gespannt, wofür du dich entscheidest. Liebe Grüße, masuko

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  2. dieses Buch steht seit Jahren ungelesen in meinem Bücherregal. Nun, nach dieser Rezension werde ich es wohl lesen. Bisher habe ich von T.C.Boyle nur „Willkommen in Welville“ begonnen, ich bin aber bisher nicht so recht ins Buch reingekommen. Vielelicht wird es diesmal besser.

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    • Ja, probier es unbedingt mal mit dem „Samurai“. Ist ja auch ein ganz anderes Thema als „Willkommen in Wellville“. Viel zeitgemäßer und verrückter. Und eigentlich auch ziemlich aktuell. Das Thema Rassismus geht Boyle radikal und schonungslos an.

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  3. Ich bin eine begeisterte Leserin von Boyle. Er schreibt einmalig, so wie keiner. Ich habe einige Bücher gelesen, so aus dieses, und ich konnte es, wie auch viele, nicht aus der Hand legen. Ich stimme dir in allem zu, was du über Boyle schreibst. Mein liebstes ist „Wassermusik“. Ich finde auch sein bestes.

    Das beste für mich allerdings, ich werde morgen eine Lesung von Boyle besuchen, und ich bin wahnsinnig gespannt darauf.

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    • Ja, Wassermusik“ ist sein bester Roman, den will ich auch bald ein zweites Mal lesen. Ich freu mich so, dass du auch so ein großer Fan von seinen Büchern bist! Wo liest er denn am Dienstag? Eben habe ich gesehen, dass er im Musical Dome in Köln vor 1.600 Fans gelesen hat!
      Und wirst du dir ein Buch signieren lassen? Er ist der geduldigste Autor, den ich kenne. Er nimmt sich sogar Zeit für einen kleinen Smalltalk. Ich wünsche dir einen tollen Abend!

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  4. Ich mag das Buch auch sehr. Deine treffende Rezension hat mich am Abend dazu veranlasst durch meine Bibliothek zu streifen und wieder in T.C Boyle Romane reinzulesen. damit habe ich fast den ganzen Abend verbracht. Ich danke dir. San Miguel mochte ich auch sehr. Sicher kennst du es. Ich habe auf meinen Blog vor Kurzem „Hart auf Hart“ rezensiert und kann diesen Roman von ihm auch sehr empfehlen, aber T.C Boyle lesen ist ja immer großartig.

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    • Ist schon schön, so eine eigene Bibliothek, gefüllt mit guten Büchern ….
      „San Miguel“ gehört leider zu den Romanen, die ich noch nicht kenne. Aber bei „Hart auf Hart“ bin ich bereits im letzten Drittel.

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  5. Danke für deinen tollen Blog. Ich habe dich für den Liebster Award nominiert.
    http://bepe03.com/2015/03/01/nominierung-zum-liebster-award-11-fragen-11-antworten/

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    • Liebe Bernadette,
      nun sind schon wieder einige Tage vergangen, seit du mich für den Liebster-Award nominiert hast. Vielen Dank!
      Leider fehlt mir einfach die Zeit, bei diesem tollen Projekt mitzumachen. Ich hoffe sehr, ich unterbreche damit nichts, sonst gib den Award gern weiter.
      Schöne Grüße, masuko

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  6. So, nun habe ich mich auch an T.C.Boyle herangetraut.
    Ich habe zwei Bücher von ihm in meinem Regal gefunden, und zwar
    „Willkommen in Wellville“ und
    „Der Samurai von Savannah“
    Begonnen habe ich mit „… Wellville…“-und da dieses Buch nicht Thema dieses Blogs ist, will
    ich auch nichts dazu schreiben, nur soviel, es gefiel mir sehr gut.
    Ich werde in den nächsten Tagen mit „…Savannah…“ anfangen, denn einerseits dieser Blog und andererseits „…Wellville…“ haben mir Lust gemacht auf T.C.Boyle.
    Ich bin gespannt, wie sehr mich T.C.Boyle erneut fesseln wird.

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    • Super, da hast du gleich einen weiteren und sehr guten Roman von ihm erwischt! Ich mochte die schrulligen und sehr liebenswerten Figuren, allen voran Dr. Kellogg! Der „Samurai“ ist dann wieder ganz anders, aber auch großartig.
      Schöne Grüße, masuko

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