Lafcadio Hearn. Chita

lafcadio_hearn_chitaLafcadio Hearn (1850-1904) war mir als Autor bisher unbekannt, doch dank des Romans Chita hat sich das nun geändert. Der schmale Band ist vor wenigen Tagen im Verlag Jung und Jung erstmals auf Deutsch erschienen. Im Nachwort schreibt Übersetzer und Herausgeber Alexander Pechmann, dass Chita nach seiner ersten Veröffentlichung 1889 große Erfolge feiern konnte. Desweiteren betont Pechmann Lafcadio Hearns journalistische Neugier und sein Sinn für Ungewöhnliches, Poetisches und Groteskes – mein Interesse für diesen Autor ist endgültig geweckt! Beim Recherchieren entdecke ich, dass der in Griechenland geborene Hearn seine letzten Lebensjahre in Japan verbracht und in dieser Zeit weitere einzigartig schöne Bücher geschrieben hat. Japanische Geister- und Märchengeschichten, Interpretationen japanischer Mythen … ein kleines Universum tut sich auf und ich will alles sofort lesen.

Chita ist ein Roman, den der Autor in liebevoller Erinnerung an Grand Isle, eine kleine Insel im Golf von Mexiko, geschrieben hat. Hearn hat dort im Jahr 1884 einen ruhigen und glücklichen Monat verbracht. Dort hat er auch von dem furchtbaren Orkan erfahren, der am 10. August 1856 gewütet und eine riesige Sturzflut ausgelöst hatte. Ein ganzes Strandhotel war ins Meer geschwemmt worden. Die Idee für Chita war geboren.

Ein schwerer Sturm peitscht über das Meer, dennoch warten die Männer von Grand Isle am tosenden Strand auf die Ankunft des Dampfers Star aus St. Mary’s. Zu einer Zeit, da es weder Telegraphenkabel noch Telefone gab, war das Postschiff das einzige Mittel für die Inselbewohner im Golf von Mexiko, um mit der Außenwelt zu kommunizieren. Und es war das größte Ereignis der Woche! Nur so kann man die Hoffnung verstehen, mit der die Männer das Brüllen des Windes und die Schwärze der sich auftürmenden Wellen ignorieren. Dieses Wüten und Tosen beschreibt Hearn auf einzigartige Weise. Wenn der düstere Himmel voller Möwen ist, so hört man fast ihr Kreischen. Man spürt die Gischt und die Schaum spritzenden, monströsen Fluten. Aus den peitschenden Wellen rettet der einfache Fischer Feliu ein vierjähriges Mädchen, welches seine tote Mutter umklammert. Er nimmt es mit nach Hause zu seiner Frau Carmen. Da das Mädchen seinen Namen nicht weiß, gibt das kinderlose Ehepaar ihm den Namen Conchita und ein neues, liebevolles Zuhause.

Nach anfänglichem Schock ist Chita schnell begeistert! In der wilden urwüchsigen Inselnatur fühlt sie sich unglaublich wohl. Carmen und Feliu ersetzen dem Kind auf wundervolle Weise die tote Mutter und den tot geglaubten Vater –

Das Buch entwickelt beim Lesen einen ganz eigenen Sog und trotz der vielen Anmerkungen und der Textstellen in Originalsprachen, die mich manchmal aus dem Rhythmus bringen,  lese ich fast ohne Pause.

Dann schließe ich das Buch. Doch lässt mir diese kleine, aber unglaublich tiefsinnige Geschichte keine Ruhe. Wie die grollende Sturmflut und die sich auftürmenden schwarzen Wellen, so geistert Chita weiterhin durch meine Gedanken. Ich habe Lust, wieder einmal Stevensons Schatzinsel oder Conrads Reise ins Herz der Finsternis zu lesen. Beide Autoren nennt Pechmann im Vergleich mit Lafcadio Hearn. Selbst der überkritische H.P. Lovecraft soll von der Phantasie und vom Zauber der Sprache Hearns beeindruckt gewesen sein.

Lafcadio Hearn. Chita. Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann. Verlag Jung und Jung. Salzburg und Wien 2015. 136 Seiten. 17,90 €

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8 Antworten zu “Lafcadio Hearn. Chita

  1. Unerlässlich für die Liebhaber japanischer Gärten: Sein Büchlein „In einem japanischen Garten“ mit Zeichnungen japanischer Künstler. Gibt es als kleinen Handschmeichler bei Manesse.
    lg

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    • Du kennst Lafcadio Hearn? Das finde ich ja toll. Und gleich mit einem Büchertipp! Vielen Dank

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      • mannigfaltiges

        Nur ein Zufall, mir gefallen die jap. Gärten sehr . Wenn man sie verstehen will (was durchaus nicht einfach ist) gelangt man irgendwann zu Mr. Hearn. Aber mit dem „Herz der Finsternis“ hätte ich ihn nie in Verbindung gebracht – ich glaube ich lese beide Bücher nochmal.

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  2. Ich bin mir nicht sicher, ob die Geschichte mich interessiert, Klassiker üben zugegebenermaßen wenig Reiz auf mich aus. Doch das Cover ist schlichtweg atemberaubend!

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    • Kann ich gut verstehen. „Chita“ ist allerdings überraschend zeitlos erzählt. Wenn man Lust auf einen Bericht über einen Wahnsinns-Tsunami hat, liegt man mit Hearn genau richtig. Das Cover ist grandios, finde ich auch!

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  3. Klingt interessant, klingt sogar sehr interessant. Nicht zuletzt durch den zusätzlichen Hinweis auf die japanischen Gärten von »mannigfaltiges«. Griechenland, Japan, Golf von Mexiko – verspricht Literatur mit kosmopolitischem Einfluss. So was mag ich und Hearn ist jetzt vorgemerkt. Danke. lg_jochen

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    • Ja, er war sowas wie ein „Weltenwanderer“. Die vielen Einflüsse sind spürbar. War sicher nicht ganz einfach zu lektorieren. Einige Passagen wurden im originalen Sprachstil belassen – dennoch ein Abenteuer, ihn zu lesen.

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  4. Pingback: Sonntagsleserin Januar/Februar 2015 | buchpost

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