Erstmals 1928 in London erschienen, liegt dieser sehr frühe Roman von Evelyn Waugh nun in der Neuübersetzung bei Diogenes vor. Es hat nicht sofort KLICK gemacht. Bis ich in der Story richtig „drin“ war, brauchte ich diesmal einige Seiten … um dann hoffnungslos gefangen zu sein! Ich erlebte außerdem eine verrückte Überraschung: dem Buch beigefügt sind 6 Zeichnungen von Evelyn Waugh! Beispielsweise sieht man zwei biertrinkende Männer im Pub. Mit Krawatte, Pfeife, Hut und Stock. Die Textzeile unter der Illustration wiederholt sich dann im weiteren Verlauf der Story. Ich mag das (und wer die Romane von Erich Kästner mit den Trier-Illustrationen kennt, weiß, was ich meine). Sonst einfach mal in die nächste gutsortierte Buchhandlung gehen und in „Verfall und Untergang“ blättern. Es lohnt sich!
Was mich jedoch besonders faszinierte, das ist der Spott, das ist die gnadenlose Art, mit der Waugh seine Figuren beschreibt. Und sie dabei grenzenlos zu lieben scheint: den schrulligen Mr. Grimes mit dem Holzbein, Mr. Pendergast mit der schiefen Perücke, Mr. Philbrick und seine ewigen Lügengeschichten, die atemberaubend schöne Mrs. Margot Beste-Chetwynde. Und natürlich Paul Pennyfeather – immer korrekt, immer nett, manchmal ein bißchen introvertiert. Stoisch in seiner Art, die Dinge zu nehmen, wie sie sind.
Es sind die 20er Jahre, der Krieg ist gerade vorbei. Man feiert mondäne Partys und schlürft köstliche Cocktails aus Absinth und Wodka. Paul Pennyfeather, Student am Campus, wird in einen unglücklichen Vorfall verwickelt und gnadenlos gefeuert. Er bekommt eine Stelle als Lehrer an der Highscool auf Llanabba Castle. Nach seiner dortigen Ankunft durchquert er bangen Herzens eine Reihe unbeleuchteter Korridore, in denen es nach allen möglichen grässlichen Schuldünsten riecht. Das ungute Gefühl will Paul einfach nicht verlassen. Jungs starren ihn an und kichern respektlos … Schnell wird klar: Paul ist nicht der perfekte Lehrer und wird es nie sein. Llanabba Castle mit seinen grotesken Bewohnern empfindet er wie einen grässlichen Albtraum.
Weshalb er eine großartige Chance darin sieht, diesen Ort zu verlassen und mit der sehr reichen und geheimnisvollen Mrs. Beste-Chetwynde eine Affäre zu beginnen. Und sich schließlich mit ihr zu verloben. Große Aufregung in ganz London!
„Aus irgendeinem Grund schien die Öffentlickeit Pauls Hochzeit als besonders romantisch zu empfinden. Vielleicht bewunderten die Leute die Tatkraft und Tapferkeit, mit denen sich Margot nach zehn Jahren Witwenschaft freiwillig aufs Neue den tausendundeinen Schrecken einer mondänen Hochzeit aussetzte, oder Pauls plötzlicher Aufstieg vom Lehrer zum Millionär brachte in jedem von ihnen eine verborgene Optimismus-Saite zum Klingen … Was auch der Grund sein mochte, bei den unteren Schichten stieß die Hochzeit jedenfalls auf beispiellose Begeisterung.“ (S. 206-208)
Paul fühlt sich wie ein Kosmopolit: Heute das Rizz, morgen Marseille und in wenigen Tagen Honeymoon auf Korfu. Doch ein verhängnisvoller Auftrag von Margot führt ihn – ganz kurz vor der spektakulären Hochzeit – nach Marseille. Er hätte diesen Auftrag nie annehmen dürfen.
„Es war schon später Abend, als Paul in Marseille ankam … Die Szenerie hätte nicht finsterer sein können … Ein schwarzer, entsetzlich betrunkener Seemann sprach Paul in einer obskuren Sprache an und lud ihn ein, mit ihm zu trinken … Taub für die vielsprachigen Einladungen von allen Seiten drängte Paul weiter … Die ganze Straße schien ihn auszulachen.“ (S. 212-214)
Pauls Schicksal wendet sich mit rasendem Tempo. Auch wenn ich eine dunkle Ahnung beim Lesen gespürt habe, verschlinge ich nun ungläubig Zeile für Zeile. Hm, denke ich, was habe ich erwartet, der Roman heißt schließlich „Verfall und Untergang“. Und hoffe trotzdem …
… denn eigentlich ist der Roman voll zynischem Witz. Waughs Art, zu provozieren ist so unvergleichlich charmant! Und auch wenn die traurige Schönheit von „Wiedersehen mit Brideshead“ teilweise schon zu spüren ist, begeistert „Verfall und Untergang“ vordergründig mit hochamüsanten Dialogen. Waugh lässt seine Figuren in die unglaublichsten Situationen geraten, lässt sie dort scheitern oder elegant entkommen.
Ich würde ihn gern mal auf ein Glas Absynth in einem alten englischen Landhaus treffen. Die Gespräche wären sicher einzigartig. Doch – schade – ich müsste dazu einige Jahrzehnte zurück ind vorige Jahrhundert reisen.
Evelyn Waugh starb 1966 in Taunton (Somerset).
Evelyn Waugh. Verfall und Untergang. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Diogenes Verlag Zürich. 2014. 299 Seiten
Dieser Roman ist mir beim Durchsehen der Diogenes Vorschau ebenfalls ins Auge gefallen, aber so ganz wusste ich nicht, ob er etwas für mich ist, bzw. war ich etwas zu scheu um mich einfach mal darauf einzulassen. Eine Rezension wie Deine kommt da genau zur rechten Zeit und macht mir den Roman durchaus schmackhaft.
Ich lese selbst gerade ein Buch mit amüsanten Dialogen, und zwar „Blaubart“ von Amélie Nothomb. Mit den oft höchst skurrilen Gesprächen der zwei Hauptfiguren bringt mich die Autorin richtiggehend zum Lachen.
LG, Katarina 🙂
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Oh, Amélie Nothomb ist auch große Klasse! Sie hat ebenfalls einen wunderbar skurrilen Humor. Ich lese ihre Romane total gern.
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Pingback: Sonntagsleser: Blog-Presseschau 11.05.2014 (KW19) | buecherrezension
Ich danke Dir sehr für diese Buchrezension. Vielleicht hätte ich sonst dieses Buch gar nicht für mich entdeckt. Ich liebe es. Da ich England und selbst den Humor schätze, bin ich sehr begeistert. Ein Lächeln. Ich denke die Reise in viele Jahre zurück…nun sie würde sich sicher lohnen. 😉
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Eyelyn Waugh zu lesen, ist wirklich ein Hochgenuss. Schön, dass du den Autor jetzt für dich entdeckt hast. Auf mich wartet als nächstes sein Roman „Scoop“. Mal sehen, an welchen Ort und in welche Zeit er diesmal entführt. Viel Spass noch mit „Verfall und Untergang“.
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