Am 4. April 2014 wäre die französische Autorin Marguerite Duras 100 Jahre alt geworden.
Für mich ein schöner Anlass, diesen kleinen feinen Roman erneut zu lesen. Auch geht es mir mit manchen Büchern, wie mit einem Stück guter Musik. Man möchte es wieder und wieder hören. Man ahnt die Höhen und Tiefen, summt an bekannten Stellen mit… So geht es mir mit dem „Liebhaber“ – ich summe mit.
Ein 15jähriges Mädchen steht an der Reling einer Fähre, die den Mekong überquert. In einem Land, wo es keine Jahreszeiten gibt. Nur eintönige Hitze. Kein Frühling. Keine Wiederkehr. Auf ganz besonders feinsinnige Art beschreibt Duras diesen Dunst, die gedämpften Farben, das schlammige Licht des Flusses zwischen den Reisfeldern. Mit seiner Mutter und den zwei Brüdern lebt das Mädchen im Saigon der 30er Jahre. Um in das französische Mädchenpensionat in Sadec zu gehen, überquert die Kleine täglich den Mekong. Groß und wild strömt er dem Ozean zu, ein rasch fließender Fluss. Doch für das Mädchen scheint an jenem Tag die Zeit still zu stehen.
„Ich trage ein Kleid aus Rohseide, es ist abgenutzt, beinahe durchsichtig … Das Kleid ist ärmellos, sehr tief ausgeschnitten … Ich habe mir einen Ledergürtel umgebunden … An jenem Tag muß ich das berüchtigte Paar Schuhe aus Goldlamé mit hohen Absätzen getragen haben … Ich gehe ins Gymnasium in Abendschuhen, die mit kleinen Verzierungen aus Strass besetzt sind … Aber nicht die Schuhe sind das Ungewöhnliche, das Unerhörte an der Kleinen an diesem Tag. Das, was an diesem Tag zählt, ist, dass die Kleine einen Männerhut trägt, einen weichen rosenholzfarbenen Hut mit breitem schwarzem Band.“ (S.16/17)
Was ich an Duras so mag, das sind diese unmerklichen Perspektivwechsel. Eben steckt man noch im Körper des Mädchens dort an der Reling mit dem Blick auf den Mekong, um im nächsten Moment ein stiller Beobachter von außen zu sein. Denn auf der Fähre steht eine schwarze Limousine. Darin ein eleganter Mann in einem europäischen Anzug. Er ist Chinese und betrachtet das Mädchen. Er wird sich unsterblich verlieben –
Für die damalige Zeit unvorstellbar. Nicht nur, dass ein wohlhabender Chinese eine Weiße liebt, die aus armen Verhältnissen kommt. Noch dazu ist sie viel zu jung. Duras erzählt die Geschichte dieser „amour fou“ ohne große Worte. Kitschige oder hocherotische Szenen wird man auf diesen wenigen Seiten vergeblich suchen. Es ist die Kunst der Auslassung, die die Geschichte so besonders macht und den Leser zum Phantasieren und zum Träumen verführt. Der gleichnamige Film (1992 unter Regie von Jean-Jacques Annaud) geht mit Duras‘ Stoff ganz anders um, berauscht mit exotischen Landschaftsaufnahmen des heutigen Vietnam und setzt das Auge der Kamera stark auf die Erotik (im Bild: Tony Leung Ka-Fai und Jane March).
Marguerite Duras aber bannt den Leser mit der Kraft und der Schönheit ihrer Worte und genau deshalb würde ich immer wieder den Roman bevorzugen, um der melancholischen Stimme der Erzählerin zu folgen, die manchmal spröde, dann wieder mädchenhaft schüchtern erzählt. Von ihrer ersten großen Liebe und der Macht des Begehrens. Vom Leben in Französisch-Indochina. Von der mit der Erziehung überforderten Mutter, vom opiumsüchtigen Bruder und von dieser immerwährenden dunstigen Hitze. Duras entwickelt auf diesen wenigen Seiten eine knisternde Spannung, der man sich kaum entziehen kann und die lange bleibt.
Marguerite Duras. Der Liebhaber. Suhrkamp Taschenbuch. Berlin 2014. 143 Seiten.
Hallo Masuko, „Der Liebhaber“ ist mein absolutes Lieblingsbuch. Ich habe es schon zigmal gelesen, sogar das Buch habe ich in mehreren Ausführungen. Ich bin ein großer Fan der Duras, war sogar auf ihren Spuren in Indochina, also im Mekongdelta Vietnams. Schön, nochmal auf Deinen Blog darüber zu lesen. Danke, dass Du meinem Blog folgst.
LG
Sabine
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Hallo Sabine, auf den Suren der Duras in den Mekongdelta? Das klingt toll. Ich habe den „Liebhaber“ bisher dreimal gelesen, aber ich werde es immer wieder gern neu entdecken. Schön, dass dir mein Beitrag gefallen hat.
Schöne Grüße, Masuko
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Hi Masuko, ich habe damals sogar ein Buch darüber geschrieben, auch mit Zitaten aus dem Buch.
Es ist lange her. Letztes Jahr war ich wieder in Vietnam, doch es war nicht mehr so wie einst. Meine erste Indochina-Reise war die Beste! Aber es ist wahrscheinlich immer so!
LG
Sabine
http://www.iatros-verlag.de/de/Reisen-/-Laender/Unterwegs-am-Mekong.html
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Ich freu mich wirklich, dass ich deinen Blog entdeckt habe. Und jetzt auch noch ein Buch! Ich schau es mir mal an. Danke für den Link, Masuko
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Gerade fiel mir Dein wundervoller Buchbericht wieder in die Hände. So kann der Tag nun beginnen. Habe ihn mit Freude nochmal gelesen.
LG und eine schöne Woche!
Sabine
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Das freut mich sehr!
Vor ein paar Tagen hatte ich dieses wundervolle Büchlein eine Freundin gegeben und überlegt, ob ich es nicht danach auch wieder einmal lesen sollte. Eine ganz besondere kleine Geschichte.
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Ich habe gerade das Hörbuch wieder an! 😍
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