Wieder so ein Roman, der einen packt und so richtig durchschüttelt vom ersten bis zum letzten Satz. Ich gestehe, dass ich mit der Vorgeschichte „Das Mädchen“ (August 2011) nicht klar kam. War mir zu spröde, zu hart, zu real.
Auch wenn die Sprache in „April“ wieder sehr reduziert ist, so liest es sich diesmal doch wahnsinnig gut und außerdem fasziniert mich die Story einfach sehr. Radikal kurze, aber inhaltsreiche Sätze umspannen eine Zeit von etwa 10 Jahren. Auf lediglich 219 Seiten! Ohne, dass genau benannt wird, in welcher Zeit und wo der Roman überhaupt spielt, spürt man schnell, es sind die späten 70er und frühen 80er. Ort: Leipzig.
April ist mir von Anfang an so symphatisch, wie eine beste Freundin. Liebevoll nennen ihre Freunde sie Rippchen – weil sie so extrem dünn ist. Den Namen April hat sie sich, inspiriert durch Deep Purples gleichnamigen Song, selbst zugelegt. April trägt gern eine dicke Trainigshose unter Levi’s, dazu ein Nicki mit der US-Flagge drauf. Sie ernährt sich von Tütensuppen. April ist geheimnisvoll und sehr empfindsam. Ihre kleinen Ticks und Macken – man verzeiht sie ihr. Wie traumatisch ihre Kindheit wirklich gewesen ist, kann man nur ahnen. Manchmal regt April sich ungewollt über Kleinigkeiten ganz furchtbar auf. Als löse sich ein Knoten in ihrem Inneren, fliegen dann ungebremst rote Wutpfeile durch die Luft.
„…und diese Pfeile haben so eine Wucht … Sie fragt sich, wo die Macht ihrer Mutter endet. Manchmal hat April das Gefühl, der Zorn ihrer Mutter würde wie eine Ascheschicht auf ihrem Herzen liegen. Als sollte sie nie frei atmen dürfen, als würde ihre Mutter noch immer versuchen, alles Gute und Lebendige in ihr zu vernichten“ (S. 115/116).
Nun ist sie endlich 18. Doch auch das Leben als erwachsene Frau, die ein Zimmer zur Untermiete sowie eine Stelle als Bürohilfskraft im Starkstromanlagenbau von der Jugendhilfe zugewiesen bekommen hat, ist nicht lustig!
Dennoch lebt April relativ unbeschwert. Sie trinkt ihren Kaffee schwarz, raucht Karo und beginnt irgendwann mit dem Schreiben. Bewegt sich in Künstlerkreisen. Alle sind irgendwie Literaten. Klüssendorf beschreibt diese Szene absolut authentisch. Es ist die Zeit der Schmalzbrote und des schwarzen Tees, der bärtigen Männer, umhüllt von Zigarettenrauch. Die Mädchen tragen Hippiekleider, eingefärbt und zusammengenäht aus Baumwollwindeln (leichte Baumwollstoffe gibt es nicht) und diskutieren über den Kater aus Bulgakows „Meister und Margarita“.
Wäre „April“ in der Zeit der DDR erschienen – es wäre sofort zum Kultbuch avanciert! Wir hätten es alle gelesen. Der Roman hat eine so ungebremste Wucht und eine sprachliche Kraft, dass man einfach nicht daran vorbei kommt. Auch heute nicht, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer.
Aprils Ausreise nach Westberlin und ihr schwieriges Ankommen in Kreuzberg sind ebenfalls spannend, nehmen aber weniger Raum ein. Die Sorgen und Probleme sind jetzt viel existenzieller. Doch irgendwann nach vielen Tiefschlägen, scheint April im Leben angekommen zu sein. Der Schatten ihrer Kindheit wird kleiner und wir erleben sie mit einem zaghaften Lächeln. Als hätte sie endlich das Geheimnis entdeckt, um glücklich zu sein. Und glücklich – das bin ich auch.
Angelika Klüssendorf. april. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 2014. 219 Seiten. 18,99 €
Das klingt nach einem großartigen Buch! Vielen Dank für deinen Eindruck.
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Ein Buch, das man am liebsten gleich wieder von vorn lesen möchte. Und dank ihrer prägnanten Sprache langweilt man sich nicht eine Minute. Alles ist irgendwie total auf den Punkt gebracht.
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Das macht neugierig!
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Kluessendorfs „Das Mädchen“ hatte mich sehr beeindruckt. Dass es ein neues Buch von ihr gibt, wusste ich noch nicht. Jetzt schon – und nach dieser schönen Besprechung weiss ich auch, dass es mir gefallen konnte. Danke!
Sonnige Gruesse aus Hamburg von Jarg
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Freut mich, dass ich mit meiner Besprechung neugierig machen konnte.
Vielleicht bekommt das Buch auf der Leipziger Messe noch ein bißchen mehr Aufmerksamkeit.
Schöne Grüße aus Kreuzberg
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Hoffentlich. Nach dem, was ich von Klüssendorf kenne, versteht sie es zu schreiben und verdient entsprechende Aufmerksamkeit …
Herzlich grüsst aus Hamburg
Jarg
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Hat dies auf masuko13 rebloggt und kommentierte:
Schon im Frühling 2014 war „April“ eines meiner Herzensbücher. Nun steht Angelika Klüssendorf mit ihrem schmalen Roman auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014. Und ich finde das großartig!
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Diese Rezension lädt wirklich zum Lesen des Buches ein, macht richtig Lust zu lesen und ist in sehr gutem Stil verfasst! Herzlichen Dank!
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Ja, sehr gern!
Wenn ich einen Roman mag, dann gebe ich dieses Gefühl einfach gern weiter. Schön, wenn es mir gelungen ist, dich für „April“ zu begeistern.
Schöne Grüße, Masuko
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